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REVIEW | Rezension Brettspiel My Island

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Das Brettspiel My City war damals zu Beginn des Lockdowns der Retter in der Not: Kaum saß man quasi zu Hause fest, flatterte dieses Familien-Legacy-Spiel auf den Tisch und wusste sogar so gut zu unterhalten, dass es zum Spiel des Jahres nominiert wurde. Neu war, dass das Legacy-Prinzip auf Einsteigerebene runtergebrochen war und ich hätte dem Spiel allein aus diesem Grund den Preis damals auch sehr gegönnt.

Nun kommt mit My Island der Nachfolger auf die Spieltische – was macht es anders oder ist es „more of the same“? Die Frage versuche ich – ohne zu spoilern – zu beantworten. 

Carina Brachter


SPIELBESCHREIBUNG

My Island ist ein Legacy-Spiel, was bedeutet, dass es sich mit jeder Partie ein wenig verändert und weiterentwickelt. In My Island wird das wie beim Vorgänger so gelöst, dass über 24 Partien gespielt wird – 3 Spiele in jedem der 8 Kapitel. Zu Beginn jedes Kapitels wird einer der 8 beiliegenden Umschläge geöffnet, der ein Blatt mit den Regeln dieses Kapitels sowie zur Orientierung ein Blatt mit den Wertungsübersichten beinhaltet. Ebenso kann weiteres Spielmaterial enthalten sein. 

Als Ausgangspunkt erhalten alle Mitspielenden das gleiche Spielmaterial: Einen Spielplan mit der noch jungfräulichen Insel, die wir in den kommenden Partien entdecken werden. Außerdem 28 individuell gestaltete Plättchen pro Person in vier unterschiedlichen Ausprägungen. 

Die Plättchen sind jeweils aus zwei, drei oder vier Hexagons zusammengesetzt. Auf jedem Hexagon sind Landschaftsarten aufgedruckt: Acker, Haus, Mauer und Weg. 

Folgende Grundregel gilt bei allen Spielen: 

Es sind 28 Karten enthalten, die die Hexplättchen anzeigen. Die Karten werden gemischt und nach und nach aufgedeckt. Die Mitspielenden nehmen bei jeder Karte das entsprechende Plättchen und legen es gemäß der Anlegeregeln auf dem Spielplan mit der Insel an. Es muss dabei mindestens eine Landschaftsart angrenzend passend an ein bereits liegendes Plättchen angelegt werden. Wenn einem ein Plättchen nicht in den Plan passt, darf man passen und dafür einen Schritt auf der Zählleiste zurückgehen. Auf der Zählleiste starten wir in jeder Partie daher auch bei 10 Punkten. Man darf auch freiwillig aussteigen, bevor alle Karten aufgedeckt wurden, und verliert dadurch keine Punkte. Wer am Ende der Partie die meisten Punkte erzielen konnte, erhält meist als Belohnung Fortschrittspunkte, die oben auf dem Tableau ausgemalt werden.

Weitere Regeln ergeben sich durch das Öffnen der Umschläge. Ebenso auch die Regelung für den Gesamtsieg der Kampagne von My Island, den ich hier daher leider nicht verraten kann.



AUTOR: Reiner Knizia ■ ILLUSTRATION: Michael Menzel 
VERLAG: KOSMOS ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2023

spieler

1-4 Spieler

alter

ab 8 Jahren

zeit

ca. 30 Minuten

Spielregeln (ext. Link zu Kosmos)


SPIELGEFÜHL

Wir stranden auf einer vermeintlich einsamen Insel und stürzen uns ins Abenteuer. Eine frische Brise weht uns um die Nase und los geht die Entdeckungstour! Das Thema, das Setting und vor allem die viel flexibleren Hexplättchen gefallen mir alles in allem besser, als die Stadtumgebung des Vorgängers, in dem wir uns teilweise durch die graue Industrialisierung kämpfen mussten. 

Dabei sticht heraus: Die Hexplättchen geben mir mehr Freiheit! Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich mich über die starren Gebäude in My City aufgeregt habe, die mir nie die Freiheit gelassen haben, die ich brauchte. Vor allem, weil ich sie nicht spiegeln konnte. Das kann ich auch mit den Hexplättchen von My Island nicht, aber dennoch habe ich hier das Gefühl, mit meinen Aktionen viel freier zu sein. Natürlich gibt mir der Spielplan vor, wo meine Grenzen sind. Das ist auch oft genug knackig, mit den mir zur Verfügung stehenden Plättchen richtig zu planen, aber dennoch fühlte ich mich hier alles in allem freier.

Aller Anfang ist leicht

Das Spiel startet auch auf einem easy Einsteigerniveau. In den ersten Partien kommt man gut rein und für geübte Plättchenleger:innen ist das eine bessere Fingerübung. Die Elemente, die durch die Briefumschläge ins Spiel kommen, machen Spaß, ändern auf angenehme Art und Weise die Regeln – da kommt man noch gut mit. 

Interessant, wie kleine Änderungen in den Regeln eine Strategieänderung bewirken können und man seine Strategie und das Spiel ein wenig anders aufbaut. 

In den ersten Kapiteln sind auch noch die „perfekten“ Spiele möglich, wo man alle Bedingungen erfüllt, alle Plättchen auf das Spielfeld einpuzzeln kann und bei Ende der Partie sehr zufrieden das Auge über seine Ländereien streifen lassen kann. Soweit fühlt sich das alles noch sehr gut an.

Besser am Ball bleiben

Dennoch sollte man zwischen den einzelnen Partien nicht allzu viel Zeit verstreichen lassen, denn dann geraten die Regeln in Vergessenheit. Zu Beginn der Spielregel liest man zwar immer den schönen Satz: „Es gelten alle Regeln aus den Spielen x-y.“ Aber was war das nochmal alles? Galt diese eine Regel nur für das eine Spiel oder ist das nun auch hier der Fall?

Vielleicht ist das auch nur ein Problem für Vielspieler, die zwischen den Partien von My Island auch noch andere Regeln von anderen Spielen erlernen und dann bisweilen vor lauter Regelwust im Kopf die Vorgaben nicht mehr sortiert bekommen. Ich kann trotzdem allen empfehlen, hier am Ball zu bleiben. Dann entfällt das Regelstudium der letzten Kapitel, die man sich sonst jedes Mal wieder zu Gemüte führen sollt.

Orientierung

Sehr hilfreich ist hier dann auch das Wertungsblatt, was in jedem Kapitel mitkommt, und auf einen Blick zusammenfasst, für welche Dinge man welchen Bonus bekommt. Daran sollte man sich im Zweifelsfall immer orientieren. 

Dennoch gibt es auch kleine Regelunschärfen. Beispielsweise ist an einer Stelle nicht ganz klar, mit welchem Spielmaterial eine Aufwertung stattfinden kann. Hier hätte ich mir noch eine Präzision gewünscht. 

Und dann kommts dicke

Ab Kapitel 6 legt das Spiel in seiner Komplexität deutlich zu. Ab Kapitel 7 überschreitet es dann m.E. ganz klar die Grenze zum Kennerspiel. Die Regeldichte ist bis dahin deutlich angewachsen, es gilt auf sehr viele Dinge zu achten und die Ziele zu erreichen wird immer knackiger. Mit den Hexplättchen zu planen, wird schnell zu einem Spiel im Schattenkabinett: Es gilt vorauszuplanen, welches Plättchen für welchen Ort vorgesehen ist und es ist ratsam, diese neben dem Spielplan an bestimmten Stellen bereitzulegen, damit man sich nicht versehentlich etwas verbaut. Hinzu kommt, dass diese Planung dann noch durch die gezogene Reihenfolge der Karten konterkariert werden kann. Kommen die Plättchenvorgaben nicht in der notwendigen Reihenfolge, wird es schwierig bis unmöglich. 

Optimierung wird daher Pflicht. Wenn man Zusammenhänge übersieht, dann kann es jetzt auch richtig Punkte kosten. Nun dauert das Spiel auch deutlich länger, denn über jedes Plättchen wird lange/länger nachgedacht. Flüchtigkeitsfehler sind ärgerlich.

Komplexitätsdichte

Und bisweilen wird es echt frustrierend. Am Ende einer Partie hatte ich nur einen Punkt. Das war ein ziemlicher Downer nach allen vorangegangenen Partien. Ich habe natürlich einen hohen Anspruch an meine Planung und möchte die geforderten Vorgaben möglichst gut erfüllen. Dann wird es aber schonmal stressig und fühlt sich ein wenig nach Arbeit an. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch gerade bei Familien und Gelegenheitsspieler:innen dazu führt, dass sie hier die Lust verlässt. Auch wir hatten ab Kapitel 7 nur noch wenige Erfolge und uns hat bisweilen die Neugier verlassen, weiterzumachen. Zudem fand ich am Ende die Änderungen im Spiel nicht mehr so reizvoll wie zu Beginn und auch die thematische Wendung, die am Spielende dazukam, fand ich persönlich nicht gelungen. Das ist aber sicher Geschmackssache…

Schade, denn bis zu Kapitel 6 war ich wirklich mit großer Freude bei der Sache. 

Disclaimer

Wir hatten den Eindruck, dass früh im Spiel feststand, wer das Spiel schließlich gewinnen würde. Es gibt zwar auch hier wie in My City Aufholmechanismen, die beispielsweise in Kapitel 5-7 nochmal für einen gewissen Schub sorgen können. Aber wirklich gedreht haben sie den Punktestand nicht. Das kann in anderen Kampagnen sicher anders laufen! 

Denn dies ist wichtig bei der Schilderung meiner Eindrücke hier: Ich habe die Kampagne zu zweit und auch nur einmal durchgespielt und auch das ewige Spiel nicht probiert. In anderen Konstellationen und bei anderen Spielverläufen können die Eindrücke sicher völlig anders sein.

Übrigens: 

  • Hervorzuheben ist, dass beim Spielmaterial extra darauf geachtet wurde, dass man die Kampagne zweimal spielen kann, sofern man das Spiel zu zweit gespielt hat. 
  • In unserer Kampagne kam es recht oft zu Verwechslungen bei der Verwendung der Plättchen, so dass wir erst später im Spiel merkten, dass wir zuvor ein falsches genommen hatten. Da das Aussehen mancher Plättchen leicht modifiziert wird, kann da schonmal Verwirrung entstehen.
  • Wie bei My City reizt mich nach dem Durchspielen der Kampagne das „Ewige Spiel“ nicht. 
  • Die Illustrationen und die Gestaltung des Spiels gefallen mir sehr gut. Das Spielmaterial ist wertig und auch die Klebeelemente lassen sich nach versehentlich falschem Aufkleben nochmal wieder vorsichtig ablösen. 

Zusammenfassung

My Island ist ein würdiger Nachfolger von My City. Wer My City mochte, wird auch von diesem neuen Plättchenlege-Legacy-Spiel nicht enttäuscht werden. Auch hier erhalten wir immer neue Regeln und Spielmaterial durch die beigefügten, geheimnisvollen Umschläge. 

Durch die neue Hexform der Plättchen, mit der wir unsere Insel vollpuzzeln, ergibt sich gefühlt mehr Flexibilität im Spiel, aber gleichzeitig gibt es auch eine Menge strenger Vorgaben.

Die Steigerung im Spiel ist zu Beginn recht sanft und später ganz schön knackig und wächst sich dann auch deutlich in ein Kennerspiel aus. Da sollten alle an der Kampagne Beteiligten auch frustresistent sein, um am Ball zu bleiben. Den ein oder anderen verlässt dann schonmal die Lust weiterzumachen.

  • Sehr zugänglicher Einstieg und bis Kapitel 6 sanfte und verträglich ansteigende Komplexität
  • Bis auf kleine Ausnahmen wird man sehr gut durch die Kampagne des Brettspiels geleitet, besonders wichtig und hilfreich sind die Wertungsübersichten
  • Schöne Illustration und wertiges Spielmaterial
  • Anstieg der Komplexität ab Kapitel 7 kann Frustmomente erzeugen
  • Verwechslungsgefahr beim Nehmen der Hexplättchen durch optische Modifikation
  • Spielreiz für das „Ewige Spiel“ nach Durchspielen der Kampagne ist recht gering

Aus meiner Spielerperspektive: Was habe ich mich über die Freiheit gefreut, die mir My Island durch die Hexplättchen und den Spielplan der Insel gegeben hat. Für mich hat sich das alles viel freier angefühlt als bei My City. Das habe ich sehr genossen – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. 

Ab Kapitel 7 haben wir doch einige Frustmomente erlebt und das Spiel fühlte sich bisweilen anstrengend an. Das hat den Spielspaß für uns getrübt und ich habe gemerkt, dass die Abstände größer wurden, in denen wir die nächste Partie spielen wollten. Das lag im Wesentlichen an den Wendungen, die das Spiel dann in den Regeln und auch thematisch genommen hat. Die haben mir nicht mehr gut gefallen und waren zum Ende der Kampagne m.E. recht uninspiriert. 

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