Home Jahr 2022 REVIEW | Rezension Brettspiel Merchants Cove

REVIEW | Rezension Brettspiel Merchants Cove

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Brettspielbox Brettspiele

Ein Brettspiel mit großer Tischpräsenz. Wenn Olaf Donnerschlag, Gunvald Graubart, Kapitänin Grünstich und  Phoenestra Goldstaub um die Gunst der Kundinnen und Kunden buhlen, ist ne Menge los auf dem Spieltisch. In Merchants Cove tummeln sich nicht nur illustre Händler:innen, sondern auch Kundinnen und Kunden, die genaue Vorstellungen zu den Waren haben, die sie erwerben möchten. Wer hier auf seine individuelle Art und Weise mit dem richtigen Timing auf den Punkt produzieren kann, wird bei Ende in Reichtum schwimmen… 

Carina Brachter


SPIELBESCHREIBUNG

In Merchants Cove übernehmen wir die Rollen von Händler:innen, die alle auf völlig eigenständige Weise Waren produzieren und diese dann im Hafen an Abenteurer:innen verkaufen. Dabei versuchen wir, die gewünschten Waren an die farblich passenden Interessenten zu bringen bzw. direkt unsere Produktion auf die Wünsche abzustimmen, sofern wir diese denn bereits erahnen können.

Merchants Cove wird über drei Runden gespielt. Dabei besteht jede Runde aus vier Phasen.

  • In der Bootsphase werden in jedes der sechs Boote, die nach Merchants Cove reisen, 2 Abenteurer:innen-Figuren gesetzt. Ihre Farbe verrät, welche Waren sie später einkaufen möchten.
  • Danach beginnt die Produktionsphase, in der jede:r seine Waren produzieren kann. Diese verläuft bei allen anders. In der Produktionsphase wird für die einzelnen Aktionen Zeit verbraucht, die wir mit unseren Zeitmarken voranschreiten. Dies bestimmt die Zugreihenfolge und löst an bestimmten Punkten aus, dass weitere Abenteurer:innen in die Boote gesetzt werden. 
    Ist ein Boot komplett gefüllt, legt es im Hafen an einem der Stege an und die Kundinnen und Kunden steigen aus. Nur an sie lassen sich dann später die Waren in den passenden Farben veräußern. Sind alle Anleger besetzt, wird das Ende der Produktion eingeläutet.
    Die Abenteurer:innen aus den Booten, die nicht angelegt haben, werden in Gildenhäuser sortiert und spielen später bei den Wertungen eine Rolle.
  • In der anschließenden Marktphase verkaufen die Händler:innen ihre Waren. An den unterschiedlichen Anlegern werden entweder nur große, nur kleine oder am Schwarzmarktanleger beide Arten Waren verkauft – wer dort verkauft, erhält aber einen Malus. Außerdem werden ggf. Unterstützungen durch die Figuren in Gildenhäusern gewertet.
  • Danach wird aufgeräumt und die nächste Runde vorbereitet.

Doch wie kommen wir an Waren? Im Grundspiel sind vier unterschiedliche Händler:innen enthalten (sowie ein fünfter für das Solospiel). Diese spielen sich alle völlig anders:

  • Der Schmied Olaf Donnerschlag erzeugt Waffen und Rüstungen mittels eines Würfeleinsetzmechanismus.
  • Der Zeitreisende Gunvald Graubart und sein Assistent Halver Halbhoch bringen Artefakte aus der Vergangenheit mittels eines Plättchen-Verschiebemechanismus a la Verrücktes Labyrinth.
  • Die Kapitänin Grünstich sammelt Schätze und versucht mittels eines Drehmechanismus a la Glücksrad Kurs auf hoher See zu halten.  
  • Die Alchemistin Phoenestra Goldstaub mischt Tränke mittels eines Kugelmechanismus, der ein wenig an Potion Explosion erinnert.

Neben dem Herstellen von Waren können die Händler:innen Städter als Mitarbeitende rekrutieren und diese aktivieren. Diese bringen ggf. noch Unterstützerpunkte bei Spielende ein, je nachdem, wie die jeweilige Farbe in den Gildenhäusern vertreten ist. Abschließend sind dann noch einige Punkte aufgrund der Korruptionskarten abzugeben, die man während des Spiels gesammelt hat. Wer dann nach 3 Runden noch das meiste Gold verdient hat, gewinnt Merchants Cove.



AUTOR: Carl Van Ostrand, Jonny Pac, Drake Villareal ■ ILLUSTRATIONEN/GRAFIK: The Mico, Bojan Drango
VERLAG: Pegasus Spiele ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2022

1-4 Spieler

ab 10 Jahren

ca. 60-90 Minuten

Spielregeln (ext. Link zu Pegasus)


SPIELGEFÜHL

Materialschlacht

Merchants Cove kommt massiv daher und es wird einen ganze Menge Inhalt geboten. Die Schachtel in Übergröße ist voll bis oben hin und es dauert erst einmal, bis man anfänglich durch das Spielmaterial durchgestiegen ist – dafür unbedingt Zeit einplanen! Ohne die Sortier- und Verpackungshinweise im Spiel wäre man anfänglich und eigentlich auch bei jedem Einräumen nach dem Spiel aufgeschmissen. 

So muss man erstmal sortieren und verstehen, welches Material zu welchem Spielcharakter gehört. Und wie das Ganze dann verpackt werden will, um später wieder in die Schachtel zu passen. Außerdem gilt es, eine ganze Menge Material zusammenzubauen: beispielsweise die Verkaufsstände der Händler:innen und besonders die Boote. Und da gab es leider ein paar ärgerliche Momente, denn trotz größter Vorsicht beim Knicken der filigranen Teile musste mit Klebstoff das ein oder andere repariert werden, was beim Knicken und Zusammenbauen abgefallen ist.

Was für eine Tischpräsenz!

Beim Jammern über die Fülle des Materials und der Zeit, die beim Handling und beim Auf- und Abbau draufgeht, sollte man aber auch mal auf die positiven Seiten dieser Üppigkeit zu sprechen kommen. 

Der Spielplan mit seinen Booten und Meepeln, die einzigartigen Playerboards – teilweise mit Aufbauten – die Waren auf den Verkaufsständen. All das macht eine Menge her! Es braucht aber auch seinen Platz. 

Die Illustrationen von The Mico sind toll, es lohnt sich alleine schon, das Cover mit seinen fantastischen Figuren einmal genauer zu studieren. Auch jeder Charakter wurde individuell ausgestaltet und unterscheidet sich in witzigen Facetten. Das gesamte Spielmaterial zaubert ein tolles Flair auf den Spieltisch.

Generell ganz einfach – im Einzelnen recht knifflig

Merchants Cove ist vom grundsätzlichen Ablauf her nicht schwierig. Die drei Runden und das, was auf dem großen Spielplan passiert, sind eingängig und nicht sonderlich schwer zu verstehen. Zu Beginn ist es ggf. etwas rumpelig, den allgemeinen Ablauf mit dem, was man mit seinem eigenen Charakter anstellt, in Zusammenhang und zeitliche Einordnung zu bringen. Nach der ersten Partie sitzt das aber.

Wo es schwieriger wird und das Spiel ganz klar in den Kennerbereich schwappt, ist beim Management der einzelnen Händler:innen. So originell die Spielidee ist, dass jede:r ein völlig eigenes Spiel spielt, um die eigenen Waren zu produzieren, so liegt hier doch der Hase im Pfeffer:

Jede:r Händler:in muss die eigene Spielanleitung für sich durcharbeiten, verstehen und ggf. Fragen klären. Es würde zu weit führen, wenn bei Spielbeginn jede Spielmechanik für alle besprochen werden müsste. Optimaler Weise hat man es nicht mit Spielanfänger:innen zu tun, so dass nach dem selbständigen Regelstudium nur noch einzelne Verständnisfragen geklärt werden müssen. 

Was machst Du da eigentlich?

Aber dann spielt jede:r sein eigenes Spiel. Und da man teilweise noch nicht einmal die Regeln kennt, nach denen die Mitspielenden agieren, kann man da auch nicht zwingend folgen. Spielt man seinen eigenen Charakter das erste Mal, ist man damit auch so beschäftigt, dass man bei den anderen auch nicht unbedingt folgen will und lieber ganz konzentriert den nächsten eigenen Zug in Ruhe planen möchte. Das ist dann in der Folge nicht nur eine sehr solitäre, sondern auch eine fehleranfällige Angelegenheit. Nicht, dass ich hier Schummeln unterstellen möchte – ggf. macht ein Charakter auch aus Unkenntnis Spielfehler, die den anderen gar nicht auffallen, weil sie bei den Spielzügen gar nicht richtig folgen können. Im Zweifelsfall heißt es dann nach dem Spiel: „Und, wie war dein Spiel so?“ Man hat es im Zweifelsfall gar nicht so richtig mitbekommen…

In Runden mit erfahrenen Spieler:innen werden diese Probleme sicher seltener. Kenne ich die anderen Spielmechanismen, kann ich folgen, bei Fragen zur Seite stehen und bei Spielfehlern korrigierend eingreifen. Da wird die Spielübersicht einfacher und der Spielreiz ergibt sich daraus, dass man alle Mechanismen mal kennenlernen und optimiert spielen möchte. Und das ist ganz klar ein bestechender Vorteil von Merchants Cove: Mit jedem Spielcharakter gestaltet sich das Spiel völlig anders. Da es zusätzlich zu den Charakteren des Grundspiels auch noch Erweiterungen gibt, die weitere Mechanismen ermöglichen, ist dieses neuartige System auch noch ausbaufähig und macht jede Partie anders.

Wer spielt denn wen?

Dies führt aber zu Beginn einer Partie immer zu der Frage: Wer möchte denn welchen Charakter spielen? Hier werden erfahrene Spieler:innen sicher ganz klare Wünsche haben. 

Nachdem ich alle Mechanismen kennengelernt habe, habe ich auch klare Präferenzen und Abneigungen: Ich würde beispielsweise nur ungerne wieder den Zeitreisenden spielen wollen, da er mir für meinen Geschmack viel zu enge Grenzen vorgibt und ich den Mechanismus deutlich zu unflexibel empfinde. Wenn die Boote mit Kaufinteressenten in bestimmten Farben bestückt werden, erkenne ich ja ungefähr die Richtung der Kaufwünsche – sprich: In welchen Farben sollte ich Waren produzieren. Der Zeitreisende ist mir da zu starr in der Handhabung. Ich kann gar nicht so schnell mit der Produktion darauf reagieren, was gewünscht ist, bevor die Schiffe an den Anlegern ankommen

Ich mag den Schmied mit seinen Würfeln und auch bei der Alchemistin mit den Kugeln habe ich das Gefühl, dass ich während einer Runde strategisch agieren und auf die Kaufwünsche reagieren kann. Mit diesen beiden Charakteren bin ich beweglich genug, um zum Zeitpunkt der Marktphase halbwegs gerüstet zu sein.

Die Kapitänin ist ein wenig dem Zufall überlassen, auf welche Schätze sie auf hoher See trifft. Hier kann sie Glück, aber auch Pech haben, denn die Verfügbarkeit passender farbiger Schätze hängt in hohen Maße von der zufälligen Reihenfolge im gemischten Stapel ab.

Alles eine Frage des Timings

Abgesehen von den individuellen Spielen auf den Händler:innentableaus bietet das gemeinsame Spiel auf dem Hauptspielplan eine schöne Interaktion. Das Besetzen der Boote mit den farbigen Figuren, das Verschieben von (Farb-)Mehrheiten für die Verkaufsphase, das Wettrennen, welches Boot schließlich am Hafen anlegt und welche Figuren schließlich in den Gildenhäusern landen: Das alles will genau beobachtet und rechtzeitig beeinflusst werden. Es gilt genau abzuwägen, welche Aktion auf meinem Spielplan wie viel Zeit kostet und ob ich mit dem Bewegen meines Zeitmarkers ggf. auch das Ziehen einer weiteren Figur für ein Boot auslösen kann.

Das Auswählen meiner Aktionen will auch wohl überlegt sein, da sich das auf die Zugreihenfolge auswirkt. Beginne ich das Spiel in einer Partie zu Viert, starte mit einer Aktion, die mich zwei Zeiteinheiten kostet, muss ich mindestens sechs Spielzüge warten, bis ich wieder an der Reihe bin. Das kann schonmal dauern und da kann die Downtime sehr lang werden. Den Sweet Spot sehe ich daher eher bei einem Spiel zu Dritt.

Das Zünglein an der Waage

Entscheidend für Sieg oder Niederlage können in Merchants Cove die Korruptionskarten sein und die Abzüge, die man bei Spielende dafür bekommt – sie sollte man daher im Blick behalten! Durch unterschiedlichste Aktionen im Spiel ist man gezwungen, Korruptionskarten zu nehmen. Die Symbole auf den Karten werden bei Spielende mit den grauen Abenteurer:innen multipliziert, die während der Partie ins Spiel gekommen sind. Da können dann mal locker 40 Minuspunkte und mehr bei rumspringen. Da man Korruptionskarten geheim hält, ist bis Spielende auch nicht klar, welche Abzüge die einzelnen Spieler:innen werden in Kauf nehmen müssen. Korruptionskarten kann man loswerden, aber der Aufwand dafür ist bisweilen hoch. 

Schön, dass es bei Spielende dann noch zu einer überraschenden Wendung kommen kann! 


Zusammenfassung

Merchants Cove bietet einen neuen Ansatz für Kennerspieler, des „Spiels im Spiel“. Während alle auf dem gemeinsamen Spielplan agieren und dort versuchen, Mehrheiten zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen, so spielt jeder auf seinem eigenen Tableau ein eigenständiges Spiel.  

So individuell und neuartig das auf der einen Seite ist, so kann es ggf. auch recht solitär empfunden werden. Die einzelnen Mechanismen spielen sich dabei recht unterschiedlich – einige sind eher dem Glück ausgeliefert als andere. Es ist reizvoll, diese auszuprobieren und kennenzulernen – danach wird man sicher seine Präferenzen haben.

Das Spiel ist extrem materialintensiv, was eine tolle Tischpräsenz erzeugt. Allerdings erfordert dies auch eine Menge Handling beim Sortieren sowie bei Auf- und Abbau. 

  • Abwechslungsreich durch die unterschiedlichen Spielweisen der Charaktere
  • Interessante Interaktionsmöglichkeit auf dem gemeinsamen Spielplan 
  • Schöne Tischpräsenz, tolle Material-Ausstattung und Illustrationen
  • Man bekommt wenig vom Spiel der Mitspielenden mit und spielt auf seinem Tableau sein eigenes Spiel
  • Deutliche Unterschiede in der Spielweise der einzelnen Charaktere, wobei einige glückslästiger oder sperriger sind als andere
  • Kleinere Materialschwächen beim Zusammenbau und großer Handlingsaufwand beim Material

Aus meiner Spielerperspektive: Merchants Cove traut sich was Neues und das finde ich lobenswert – die Idee des „Spiels im Spiel“ finde ich interessant und reizvoll. Allerdings konnten mich nur zwei der Spielmechanismen der Charaktere (Schmied und Alchemistin) überzeugen. Die anderen beiden muss ich nicht mehr spielen – der Zeitreisende hat mich sogar richtig frustriert.

Ich kann nur empfehlen, das Spiel für sich mal auszuprobieren – einen näheren Blick hat Merchants Cove für die Innovation auf jeden Fall mal verdient. Mir persönlich ist das Spielgeschehen aber etwas zu sehr „aneinander vorbei“.

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