Das Brettspiel Living Forest ist erst im Frühjahr erschienen und hat sich in der kurzen Zeit bei Vielen bereits ins Herz gespielt. Das Spiel ist wie so viele andere derzeit in einem Natursetting angesiedelt – allerdings angereichert durch eine Menge Mystik, die sich an einer japanischen Legende rund um ein Geisterlicht orientiert.
Manch einer erkennt durch die push-your-luck-Elemente, die das Spiel mitbringt, auch eine gewisse Ähnlichkeit zu den Quacksalbern von Quedlinburg. Macht das alles Living Forest zu einem preiswürdigen Spiel, das sich für das Kennspiel des Jahres bewirbt? Schauen wir es uns genauer an…
Carina Brachter
SPIELBESCHREIBUNG
Als Naturgeister haben wir die Aufgabe, den Geweihten Baum vor den Angriffen des Flammengeistes Onibi zu schützen. Zur Seite stehen uns dabei zunächst 14 Tierwesen in Form unseres Kartendecks.
Jede Runde starten die Spielenden parallel. Alle decken Karten auf, bis sie nicht mehr wollen oder dürfen. Das Deck mit Tierwesen beinhaltet neun normale Tiere und fünf Einzelgänger mit einem entsprechenden Symbol. Sobald man drei Einzelgänger aufgedeckt hat, darf man nicht mehr weiter aufdecken. Dann hat man in der folgenden Spielrunde auch nur noch eine Aktionsmöglichkeit. Hört man rechtzeitig auf, stehen den Spielenden je zwei Aktionen zur Verfügung.
Die Tierwesen bringen unterschiedliche Elemente mit sich, die uns ermöglichen, weitere Tierkarten zu erwerben, Flammen zu löschen, Bäume zu pflanzen, uns auf einem Steinkreis weiterzubewegen oder Heilige Blumen zu sammeln. Dies sind dann auch die Aktionen, die die Spieler:innen in der darauf folgenden Phase durchführen dürfen.
Kaufen wir weitere Tierwesen ein, verstärken diese unser Kartendeck. Durch das Kaufen von Tierkarten kommen in der darauffolgenden Runde auch wieder weitere Flammen ins Spiel. Flammen können wir mit Hilfe der Wassersymbole auf den Tierkarten löschen. Mit den Pflanzsymbolen können wir weitere Bäume neben den Startbaum auf unser Spieltableau bauen. Auch die Bäume bringen wieder zusätzliche Symbole mit ins Spiel, die zukünftige Aktionen verstärken.
Laufen wir auf dem Steinkreis weiter und überspringen unsere Mitspielenden, können wir denen Flammen, Bäume oder Heilige Blumen abluchsen. Je nachdem wo wir auf dem Steinkreis landen, triggern wir auch weitere Boni oder zusätzliche Aktionen.
Am Ende der Runde prüfen wir, ob alle Flammen gelöscht sind. Ist dies nicht der Fall, muss jede:r diese abwehren können. Gelingt das nicht, kommen Feuer-Warane in unser Deck, die uns die gleichen Nachteile bringen wie Einzelgänger.
Wir spielen so lange, bis eine:r zwölf unterschiedliche Bäume gesammelt, zwölf Flammen gelöscht oder zwölf Heilige Blumen gesammelt hat. Dann endet Living Forest am Rundenende sofort.
AUTOR: Aske Christiansen ■ ILLUSTRATION: Apolline Etienne
VERLAG: Ludonaute|Pegasus Spiele ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2022
2-4 Spieler
ab 10 Jahren
ca. 30-60 Minuten
Spielregeln (ext. Link zu Pegasus)
SPIELGEFÜHL
Living Forest hat viele Facetten: Es bringt Deckbauelemente, eine ordentliche Prise push-your-luck und ein Wettrennen um den Sieg mit sich. Um das schonmal vorwegzunehmen: Dadurch gestaltet sich jeder Partie sehr unterschiedlich und lässt den Spielenden viel Raum, um unterschiedliche Strategien auszuprobieren.
Viel Schönes in der Schachtel
Living Forest ist hochwertig ausgestattet und auch schön und aufwendig mit vielen individuellen Tierkarten/-zeichnungen gestaltet. An manchen Stellen ist mir die Grafik fast zu verspielt. Einigen sind die Tierwesen, die ohne Pupillen daherkommen, deutlich zu gruselig. Die Darstellung in dieser Form ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass die Tiere ebenfalls Geisterwesen sind. Für ein Spiel, das der Verlag als Familienspiel einstuft, ist dies aber ggf. etwas zu unheimlich.
Die weiteren Komponenten bestehen aus wertigem Material, die Aufsteller, in denen die Bäume aufbewahrt und auf den Tisch gestellt werden, sind nicht nur praktisch, sondern auch ausreichend stabil. Der Rest des Materials ist leider in dem „Inlay“ ein bisschen verloren. Beim Transport sollte man die Schachtel nicht allzu sehr schütteln, sonst hat man im Nachgang eine Menge Sortieraufwand…
Bis es „knallt“ durch die Tierphase
Doch schauen wir uns die Spielprinzipien näher an:
Der erste Teil einer Runde – die Tierphase – wird sehr flott und Downtime-feindlich parallel gespielt. Alle Spieler:innen sind mit ihrer Auslage beschäftigt und schauen, was ihnen ihr Kartendeck gerade zu bieten hat. Hier werden nicht nur die Einzelgänger-Tiere, die einem bei drei ausliegenden die Aktionen beschränken, scharf beäugt, sondern auch die Elemente auf den Karten durchgezählt.
Je nach Zielen, die ich mir für die aktuelle Runde gesteckt habe, wollen wir dringend noch den wichtigen weiteren Wassertropfen auf einer weiteren Karte aufdecken oder benötigen unbedingt noch zwei Pflanzensymbole für einen fehlenden Baum.
Und das kann uns schnell ins Verderben reiten. Dann decken wir einen weiteren Einzelgänger auf und sind „zerknallt“. Diese Redewendung hat sich bei uns rasch in Anlehnung an die Quacksalber von Quedlinburg etabliert. Wenn wir nicht rechtzeitig für Magie-Fragmente gesorgt haben, mit denen wir Einzelgänger auch wieder aus der Auslage entfernen können, haben wir uns verspekuliert und müssen auf eine Aktion in der nun folgenden Phase verzichten. Da es aber jederzeit möglich ist, sich mit diesen „Beschützern“ einzudecken, sollte man das auch tun, um nicht im entscheidenden Spielelement mit nur drei Tierkarten dazustehen und quasi gar nicht mehr handlungsfähig sein zu können. Nicht zu vergessen sind auch die Tiere mit Geselligkeitssymbol, die Einzelgänger ausgleichen können. Davon sollte man sich auch immer ein bis zwei zulegen – ihr Nutzwert zahlt sich im Laufe des Spieles immer aus.
Soll ich oder lieber doch nicht…
Mit fortschreitender Spieldauer und auf dem Weg zum Spielende steigt die Interaktion in dieser Spielphase deutlich an: Was machen die Mitspielenden? Wie viele Löschtropfen haben diese bereits? Wer ist vor mir dran, wer löscht mit welchem Wert? Muss ich reagieren und noch weitere Karten aufdecken, um eine bestimmte Aktion in einer bestimmten Stärke ausführen zu können? Welche Tierkarten liegen aus – möchte ich davon eine bestimmte haben? Kann ich sie mir bereits leisten oder brauche ich weiterer Sonnensymbole für den Kauf? Spielt man Living Forest einigermaßen taktisch, dann steckt in dieser Phase sehr viel Abwägung und es ist deutlich gehobener als die Aufschrift „Familie“ erkennen lässt. Ich sehe es daher deutlich im Kennerbereich.
Hier gibt es einiges zu tun
In der Aktionsphase stehen uns üblicherweise zwei Aktionen zur Verfügung. Sind wir Startspieler:in, schnappen wir gemeinhin erstmal möglichst viele Flammen aus der Mitte des Steinkreises. Haben wir zwölf von diesen Flammen gelöscht, ist das Spiel gewonnen. Ein gern genommener Weg zum schnellen Sieg – zumindest, so lange man in die ersten Partien spielt. Mit zunehmender Spielerfahrung wird eine Partie Living Forest meist ein wenig anders verlaufen.
Dann gewinnen die Bäume mehr Bedeutung; da diese auch viele Boni mitbringen, erfreuen sie sich ebenfalls großer Beliebtheit. Und dann erst die Bewegungen auf dem Steinkreis: Während es noch mit zwei Spieler:innen etwas schwieriger ist, sich dort in die Quere zu kommen, ist zu viert hier eine Menge los und ein geschickter Zug lässt schon mal drei Mitspielende überspringen. Man sollte dabei aber nicht nur den kurzfristigen Profit im Blick haben, sondern auch die Rache der anderen, die auf dem Fuße folgt, sofern man nicht als Letzte:r dran war. Außerdem lässt sich auf dem Steinkreis noch eine zusätzliche Aktion auslösen, die auch sehr wertvoll sein kann.
Die Geister, die ich rief….
Neue Tiere aus der Auslage anlocken und damit das Deck zu verstärken, ist natürlich ebenfalls wichtig. Die Tiere bringen je nach „Stärke“ wieder mehr Elemente mit, so dass wir uns in der nächsten Runde vermutlich wieder wertvollere Aktionen werden leisten können. Locken wir keine neuen Einzelgänger an, verwässern neue Tiere auch das Vorkommen unserer Tiere, die uns „zerknallen“ lassen und bringen mehr und mehr Vorteile. In späterene Runden kann man gut und gerne um die 20 Karten vor sich liegen haben und durch geschickte Züge auch auf mehr Aktionen als zwei kommen. Das gibt wertvolle Vorteile auf dem Weg zum Sieg, denn nicht vergessen: Das Ganze ist ein Wettrennen und es kann schneller vorbei sein, als einem lieb ist.
Hat man nicht richtig darauf geachtet, welche Tiere mit welchen Elementen in der Auslage der Mitspielenden liegen, kann man auch schonmal übersehen, dass jemand mit zwölf Heiligen Blumen die Siegbedingung bereits in der ersten Phase erfüllt hat und verpasst es, in der Aktionsphase etwas dagegen zu unternehmen. Daher gilt es bei Living Forest stets ganz genau aufzupassen, was am Tisch passiert.
Wenn ich erstmal Startspieler bin, dann…!
Dabei darf man auch nie außer Acht lassen, wann man wieder Startspieler:in wird. Die Runde davor, kann bereits sehr gut zur Vorbereitung genutzt werden: Will ich viele Flammen löschen, sollte ich in der Runde zuvor ordentlich Tiere aus der Auslage anlocken, denn nur so kommen neue Flammen ins Spiel. So kann ich mir die nächste Runde quasi ein wenig vorbereiten und kann auch die Runde, in der ich Letzte:r bin, noch sinnvoll nutzen.
Wenn ich Startspieler:in bin, sollte ich auch nicht das allerhöchste Risiko hinsichtlich meiner Auslage gehen, denn hier sollte ich vermeiden, nur mit einer Aktion dazustehen. Als Startspieler:in kann ich aus dem Vollen schöpfen und sollte dies dann auch mit zwei vollen Aktionen tun können.
Auch, wenn die Pläne mal nicht so aufgehen, wie man das möchte, bietet Living Forest häufig einen Plan B. Manchmal muss man ein wenig grübeln und Umwege gehen, aber es gibt immer irgendetwas zu tun.
Zu Zweit, Zu Dritt, Zu Viert
Der Sweetspot für die Spieler:innenanzahl sind meiner Einschätzung nach drei. Zu Zweit kann man sich manchmal zu sehr auf eine Siegoption spezialisieren und kommt sich auf dem Steinkreis zu wenig in die Quere. Zu Viert herrscht dagegen hier ein buntes Treiben und die Elemente, die man sich gegenseitig wegnehmen kann, wechseln schneller den Besitzer, als man schauen kann. Zu Viert bleiben dem letzten in der Runde manchmal recht wenig Aktionsmöglichkeiten übrig. Flammen sind alle bereits gelöscht, die Bäume oder Tierkarten, die man sich noch leisten kann, sind bereits vergriffen oder auf dem Steinkreis sind alle außer Reichweite. Das ist ein bisschen schade, aber da jeder mal Letzte:r ist, gleicht sich das dann über das gesamte Spiel auch wieder aus.
Wenn da nicht der Königsmacher wäre
In großer Runde muss man dann noch ein wenig mehr aufpassen, ob man jemanden aus der Runde aufhalten muss, weil derjenige die Siegbedingungen fast erfüllt hat und – vor allem mit unaufmerksamen Mitspielenden – kann es dann auch vorkommen, dass ein:e zum Königsmacher wird. Obwohl das selten der Fall ist, kann es einen blöden Nachgeschmack hinterlassen, wenn en Spiel auf diese Weise endet – in diesem Fall sollte man dann am besten direkt zur Revanche übergehen. Die angegebene Spielzeit ist mit 30-60 richtig angegeben – es kommt immer auf die Größe der Runde an.
Zusammenfassung
Living Forest ist ein lebendiges Spiel, das sich durch die Kombination der Spielelemente Deckbau, push-your-luck und dem Wettrennen zum Sieg schnell und abwechslungsreich spielt und auch eine gute Portion Interaktion mit sich bringt. Es lässt unterschiedliche Spielstrategien zu, da es mehrere Möglichkeiten gibt, den Sieg zu erzielen. Durch die vielfältigen Möglichkeiten, das Abwägen des eigenen Risikos und das notwendige Beobachten der Mitspieler ist es in meinen Augen ganz klar ein Spiel im Kennerbereich.
Das Spiel bietet neben der strategischen Abwechslung auch schöne und wertige Spielkomponenten. Einzig die Gestaltung der Geisterwesen ist aufgrund des gruseligen Aussehens der Augen kritikfähig.
Living Forest ist bis auf einige Fälle, wo unaufmerksame Mitspielende das Zünglein an der Siegwaage sein können, ein schönes Gesamtpaket, das durch seinen Abwechslungsreichtum und sein flottes Spieltempo überzeugt.
- Schöne Kombination unterschiedlicher Spielmechanismen zu einem gelungenen neuen Gesamtkonzept
- Abwechslungsreich durch unterschiedliche Wege zum Sieg
- Wenig Downtime, schönes Maß an Interaktion, flottes Spieltempo
- Wertiges Spielmaterial
- Etwas gruselige Gestaltung der Tierwesen
- Feuer-Löschstrategie ist vermeintlich einfacher als die anderen Wege zum Sieg
- In großer Runde fehlen bei Rundende manchmal Aktionsmöglichkeiten
- Unaufmerksame Spieler:innen können Königsmacher werden
Aus meiner Spielerperspektive:
Living Forest habe ich zuerst auf Boardgamearena kennengelernt und hatte große Befürchtungen, dass das Zusammenzählen der Elemente auf den Tierkarten, was BGA einem so nett abnimmt, ein Kriterium sein könnte, was mir den Spielspaß am Tisch verleidet. Das war aber überraschenderweise überhaupt nicht so. Auch am Tisch gefällt mir Living Forest sehr gut und der Zählaufwand hält sich in Grenzen. Dennoch kann man es aufgrund des schnellen Spieltempos auch mal flott digital spielen.
Da ich hier gefühlt deutlich mehr gegen das „Zerknallen“ tun kann als beispielsweise bei den Quacksalbern, bin ich hier nicht so fremdbestimmt. Das gefällt mir deutlich besser.
Zweite Meinung: Christoph
Ich habe Living Forest zunächst via Boardgamearena (BGA) kennengelernt und schätzen gelernt. Konnte mir jedoch zunächst nicht vorstellen, dass das Aufdecken der Karten im analogen Spiel so komplikationsfrei verlaufen wird.
Dieses ist der Fall. Auch wenn ich das automatische Zählen der fünf Symbole bei BGA zu schätzen weiss, führte dieses nicht zu großen Nachrechen- und Grübelattacken. Der Spielfluss bleibt angenehm schnell. So wie das ganze Spiel sehr schnell spielbar ist.
Dem Wald in Kombination mit der Spielreihenfolge kommt eine besondere Bedeutung zu. Hier muss man immer auch schon eine Runde im Vorhinein mitdenken, dass man es einem der Mitspieler ermöglicht ggf. frühzeitig Schluß zu machen, wenn ein Überangebot an Flammen ausliegt. Diesen hohen Interaktionsgrad mit den anderen finde ich aber wiederum sehr gelungen, da es eben kein vor-sich-hin-spielen ist.
Das Ende kommt mir allerdings manchmal zu plötzlich. Aber eine Revanche ist schnell gespielt.
Was mir an dem Spiel jedoch in Teilen sehr gut und wiederum nicht gefällt, ist die Gestaltung. Die Nachttiere sehen gefährlich, aber dennoch attraktiv aus. Dagegen kann man dieses von den Tagtieren in großen Teilen nicht sagen, da ich sehr häufig das Gefühl habe, Tierzombies in meine Auslage zu nehmen. Das hätte man irgendwie anders lösen sollen. Ist aber reine Geschmacksache.
Ich bin bei einer Partie Living Forest sehr gerne dabei. Ein echt gelungenes Brettspiel. Ob es jedoch als Familienspiel durchgeht, weiß ich nicht, dafür wären mir die Regeln in Summe doch zu viel. Eher unteres Kennerspiel.