Das Trendthema im Brettspiel derzeit – die naturwissenschaftlichen Entdeckungen in der Zeit der Aufklärung – wird auch in Encyclopedia aufgegriffen. Hier beschäftigen wir uns damit, den Comte de Buffon, Georges-Louis Leclerc, bei der Erstellung der namensgebenden ersten Enzyklopädie Historie naturelle zu unterstützen. Dabei entdecken wir Tiere, erforschen ihre Merkmale, führen Entdeckungsreisen durch und veröffentlichen schließlich unsere Ergebnisse.
Na, das kommt uns doch auch von anderen Spielen bekannt vor, oder? Kann Encyclopedia damit überzeugen?
Carina Brachter
SPIELBESCHREIBUNG
Encyclopedia wird über sechs Runden gespielt. In jeder ziehen wir vier Würfel aus einem Säckchen, würfeln sie und platzieren sie auf unserem Tableau. Diese sind aber nicht zwingend für uns – auch andere Mitspielende dürfen diese nutzen und im Gegenzug erhalten wir ggf. einen Bonus dafür.
Grundsätzlich dürfen wir in einer Runde vier Würfel einsetzen –unsere oder die verfügbaren der anderen Spieler:innen. Dabei können wir entweder
- die Botschaft besuchen und Expeditionssiegel abhängig von der Augenzahl des eigesetzten Würfels erhalten.
- die Bank besuchen und fünf Münzen erhalten sowie ggf. den Startspielermarker.
- die Universität besuchen und dort einen Experten – eine von sechs offen ausliegenden Karten – für unsere Arbeit anwerben. Die Experten geben uns Boni oder besondere Fähigkeiten, aber nur jeweils vier sind für uns aktiv nutzbar.
- die Akademie besuchen und dort ein Tier auswählen, das man erforschen möchte und dieses in Form einer Karte zu uns nehmen. Auf diese Weise sammeln wir bestenfalls mehrere Karten einer Region, damit wir alle gleichzeitig erforschen können, wenn wir eine Expedition unternehmen.
- eine Expedition durchführen, d.h. in einer bestimmten Region Tiermerkmale der dort lebenden Tiere erforschen und dafür Forschungswürfel erwerben, die dann auf die Merkmale der Tierkarten platziert werden können.
- oder eine Veröffentlichung durchführen, in dem die Forschungswürfel von den Tierkarten auf die Merkmalsfelder des Spielplans gelegt werden. Dies wird mit Königssiegeln belohnt.
Für das Erforschen und das Veröffentlichen der Merkmale erhalten die Spielenden Punkte. Bei Spielende gibt es ebenfalls noch Punkte für Merkmale, die mindestens mit vier Forschungswürfeln erforscht wurden sowie für Sammlungen aus Tieren und Experten zu bestimmten Kontinentsregionen. Auch übrige Siegel und Münzen bringen noch ein paar Punkte ein. Wer schließlich die meisten Punkte erzielen konnte, gewinnt Encyclopedia.
AUTOR: Éric Dubus, Olivier Melison ■ ILLUSTRATIONEN: Joelle Drans, Jérémie Prugneaux, Ronan Toulhoat
VERLAG: Holy Grail Games/Asmodee ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2022
1-4 Spieler
ab 12 Jahren
ca. 25 Minuten je Spielenden
Spielregeln (Download – Deutsch)
SPIELGEFÜHL
Während mich das Cover von Encyclopedia leider überhaupt nicht angesprochen hat, entschädigen mich das Spielmaterial und im Besonderen die Zeichnungen auf den Tierkarten sehr. So seltsam die Darstellung der Menschen im Spiel, desto schöner die Tiere – und um die geht es hier schließlich. Leider tragen sie auf den Karten nur ihre lateinischen Bezeichnungen, was bereits viele bemängelt haben, was aber die Übersetzungsarbeit an dieser Stelle stark vereinfacht haben muss.
Licht und Schatten bei Regeln und Symbolik
Die Regeln des Spiels sind grundsätzlich gut gelungen. Es wird viel mit Beispielen gearbeitet und auch die Kurzanleitung auf der letzten Seite ist sehr hilfreich, wenn man das Spiel mal ein paar Tage nicht auf dem Tisch hatte. Unglücklich ist nur die Beschreibung der Experten, die nicht nummerisch aufgelistet sind und deren Funktionsweise man doch immer mal wieder nachschlagen muss. Leider steht die Beschreibung irgendwo mitten im Regelheft und ist immer ein wenig Sucherei. Auch der Spielplan, der eigentlich sehr gut gegliedert ist und die einzelnen Aktionsmöglichkeiten optisch gut voneinander trennt, hat an zwei, drei Stellen leider nicht das passende Symbol abbekommen. Aber zur Symbolik später noch ein wenig mehr.
Eigentlich gar nicht so schwer… und dann kommt die Rechnerei!
Encyclopedia ist an sich kein Brainburner, kein schwieriges Spiel. Ich würde es zu großen Teilen als Kennerspiel einstufen, das in vielen Aktionen noch nicht einmal sehr gehoben ist. Geld, Siegel und Tiere beschaffen, ist nicht weiter wild und damit wird man sich zu Beginn des Spiels auch erst einmal beschäftigen
Allerdings wird es an einer Stelle so richtig kompliziert und expertig – und zwar da, wo wir eine Forschungsreise unternehmen und die Stärke der Expedition errechnen wollen, um die entsprechenden Merkmale zu erforschen. Unternimmt ein Spielender eine solche Forschungsreise, stoppt der Spielfluss und die Rechnerei geht los: Wenn ich jetzt bei diesen beiden Tieren die Merkmale eins und zwei erforschen will und bei diesem zwei und drei und bei diesem eins bis drei, was muss ich denn dann dafür ausgeben? Und dann geht es los. Was benötige ich als Zielwert, was kann ich aufbringen durch die Augenzahl des Würfels, durch Münzen und Siegel und komme ich durch die Ansehenspunkte auf meiner Ansehensleiste ggf. noch zu einem Bonus, der mir helfen kann? Und nicht zuletzt: Wie viele Siegpunkte bekomme ich jetzt dafür?
Tja, wer das Spiel nicht kennt, denkt jetzt „Häh?“ – und leider denkt man dies hin und wieder auch im Spiel, wenn man es bereits kennt. An diesem Punkt bildet sich immer ein Knoten im Hirn, der erst einmal entzwirbelt werden muss und nicht selten an den Punkt führt, dass man sich längst nicht das leisten kann, was man möchte. Entweder wird dann in abgespeckter Weise geforscht oder die Expedition doch auf die nächste Runde verschoben.
Da muss man erstmal reinwachsen
An dieser Stelle bleibt das Spiel auch nach einigen Partien sperrig und verliert seinen Spielfluss. Und gewinnt Downtime, sofern sich nicht alle an der Rechnerei und Klärung der Situation beteiligen, was durchaus hilfreich ist. Spielt man mit Neulingen, ist hier immer Assistenz notwendig und erst zum Ende der Lernpartie gewinnen alle ein wenig Übung.
Ebenso ist Hilfestellung bei der Endabrechnung notwendig. Hier sollte von Anfang an klar sein, dass nur solche Merkmale in der Schlussabrechnung zu Buche schlagen, wo mindestens vier Forschungsmarker liegen. Das haben neue Mitspielende garantiert nicht auf dem Schirm, so dass man hier immer wieder dezent darauf hinweisen sollte.
In diesem Zusammenhang sei nochmal kurz darauf hingewiesen, dass die Symbolik auf der Abrechnungstafel verwirrend ist: Über der Abrechnungsspalte müsste „Würfel / Lupe + Schriftrolle“ stehen – alles andere ist irreführend. Daher bei der Schlusswertung nicht allein von den Symbolen leiten lassen!
Hat man irgendwann nach drei, vier Partien ein wenig Übung, gewinnt das Spiel deutlich an Flüssigkeit und kann dann auch den auf der Schachtel aufgedruckten zeitlichen Rahmen von 25 Minuten je Spielendem einhalten. In den ersten Partien wird das nicht möglich sein.
Schöner Würfel-Auswahl-Kniff
Ein schöner Kniff des Spiels besteht darin, dass wir beim Nehmen der Würfel immer überlegen können, auf welchem Feld auf unserem Spieltableau wir sie hinsetzen. Drei der Plätze bringen uns nämlich einen Bonus, wenn sie ein Mitspielender dort wegnimmt. Daher nach der Würfelphase immer genau schauen: Welche Farbwürfel können die anderen vermutlich gut gebrauchen, weil die Farbe dort benötigt wird oder die Augenzahl recht hoch und damit attraktiv ist. Auf diese Weise können wir schnell und ohne großen Aufwand Geld, Ansehenspunkte oder Siegpunkte erhalten.
Man braucht halt die richtigen Tiere
Ein bisschen frustig und glückslastig kann Encyclopedia werden, wenn einfach nicht die passenden Tierkarten aufgedeckt werden, die zu den Merkmalen passen, die man selber schwerpunktmäßig sammelt. Das kann einen sehr benachteiligen, gerade Richtung Spielende, wenn man bei bestimmten Merkmalen noch einmal so richtig Gas geben möchte. Da die Karten erst zu Beginn einer neuen Runde komplett neu ausgelegt werden, ist hier manchmal zu wenig Auswahl vorhanden.
Außerdem sollte man gut planen, welche Expeditionen man unternimmt und in welche Merkmalserforschung man investiert. Da bei einer Veröffentlichung alle verwendeten Karten abgeräumt werden, verliert man ggf. Forschungswürfel, die man vorher teuer bezahlt hat und die nachher ungenutzt abgeworfen werden müssen. Gründliche Planung ist hier also zwingend notwendig! Wer das nicht so gerne tun möchte, sollte sich nach einem anderen Spiel umsehen.
Unglücklich im Vergleich
Naturwissenschaftliche Forschungen und Entdeckungen in der Zeit der Aufklärung sind ein dankbares Thema in der Brettspielwelt – an dem sich derzeit viele Spiele bedienen. Das ist vermutlich auch das größte Problem von Encyclopedia:
Es ist ziemlich zeitgleich mit dem überragenden Darwins Journey erschienen. Dieses ist zwar noch deutlich komplexer, aber irgendwie doch – so meine Empfindung – intuitiver als Encyclopedia. Das liegt zum einen an den hakeligen Punkten, die das Spiel weniger elegant wirken lassen und außerdem ist es auch nicht in eine Geschichte der Entdeckungsreise eingebunden. Hier stehen die Aktionen eher ein wenig mechanisch und solitär nebeneinander und werden abgehandelt. Dies fördert im Vergleich nicht, dass Encyclopedia an Charme gewinnt.
Zusammenfassung
Wer Darwins Journey nicht kennt und nicht anschaffen will, kann das Thema bei Encyclopedia aber ebenfalls adäquat erleben. Kann man den Vergleich nicht ziehen, dann wird es auch nicht stören und man wird sich an Material, Tierkarten und Thema erfreuen.
Encyclopedia ist ein gehobenes Kennerspiel, das sich mit der Entdeckung und Erforschung von Tierarten und deren Merkmalen beschäftigt. Das Spiel bettet das Thema gut ins Spiel ein und hat auch einen guten Spielfluss, der lediglich bei der Durchführung von Expeditionen ins Stocken gerät, da die Berechnung der entsprechenden Aufwände recht kompliziert geraten ist. Hier empfiehlt sich Beratung durch erfahrenere Mitspielende und ein paar Partien Übung.
Mit der Zeit gelingt dies leichter, so dass die während des gesamten Spiels notwendige gründliche Planung besser von der Hand geht. Wer diesen Aufwand nicht scheut, wird mit Encyclopedia ein optisch schön gestaltetes Entdeckerspiel erhalten, das auch nach einigen Partien immer noch Herausforderungen bietet.
- Schön gestaltetes Spielmaterial – besonders in Form der Tierkarten – und beliebtes Thema
- Gut gestaltete Regeln mit praktischer Kurzanleitung, die den Wiedereinstieg vereinfacht
- Schöner Kniff bei der Auswahl der Würfel, da man sich auch bei den Mitspielenden bedienen darf
- Komplizierte Errechnung der Forschungsstärken in Kombination mit den Merkmalen und dann auch anfällig für lange Downtime
- Glückslastig in Bezug auf die Kartenauswahl bei den Tieren und den entsprechend notwendigen Merkmalen
- Kleinere Schwächen in der Symbolik
Aus meiner Spielerperspektive: Encyclopedia ist absolut kein schlechtes Spiel und es macht auch durchaus Spaß, wenn man es erst einmal kann. Aber an diesen Punkt muss man erst einmal kommen und man muss sich, bis man dort ist, ein wenig durchbeißen.
Da ich zur gleichen Zeit Darwins Journey kennenlernen durfte, welches vom Thema her sehr ähnlich ist und mir fast in allen Belangen besser gefällt, kann Encyclopedia dagegen leider nur schlechter abschneiden.
Zweite Meinung: Christoph
Ich möchte es ja lieben.
Encyclopedia ist zum Glück für viele Liebhaber trotz der Pleite von Holy Grail Games angekommen im deutschen Sprachraum. Und es sieht wunderschön aus. Vor allem die Spielkarten der Tiere und lädt zum Spielen ein.
Dennoch hatte ich mir irgendwie etwas anderes vorgestellt, als ein stark verkopftes gehobenes Kennerspiel.
Man muss viel überlegen, denn die Auswahl der Tierkarten durchläuft weitere zwei Stufen, bis sie in entsprechende Siegpunkte umgesetzt werden kann. Dieses arbeitet mitunter schon mal in Arbeit aus und fühlt sich gar nicht mehr so leichtgängig an. Einen ersten Eindruck erhält man schon bei der ersten Regelerklärung.
Gerade das ausgucken und Zusammenstellen der verschiedenen Kombinationen führt zu einer verstärkten Downtime; selbst wenn man kein Grübler ist, wie ich es von mir behaupte.
Gerne wird auch die kleine Bonusleiste auf dem eigenen Tableau vergessen. Schnell sind da mal wichtige Boni fort.
Gelungen wiederum der Würfelmechanismus, bei dem man zu Beginn den Mitspielenden verführerische Würfel anbietet, um mit kleinen Boni selbst bei der Auswahl zu profitieren.
In Summe finde ich es nicht schlecht. Aber es gibt deutlich geschmeidigere gehobene Kennerspiele.
Ich finde es hat einige schöne Ansätze / Teilaspekte. Unterm Strich war es aber recht lang für das Gebotene und schon in der ersten Partie setzte das Gefühl ein, dass es zu repetitiv ist. Daher am Ende eher durchgefallen und es kam zu keiner zweiten Runde.