Amritsar, in Indien, ist die Heimat des Goldenen Tempels oder Sri Harmandir Sahib. Dieses spektakuläre Gebäude ist als heiliger Ort der Sikh-Gemeinschaft weltbekannt und eines der berühmtesten Pilgerziele der Welt. Nachdem es mehrmals abgerissen worden war, baute Maharadscha Ranjit Singh, Gründer des Sikh-Reiches in Indien, es im frühen 19. Jahrhundert mit Marmor und Kupfer wieder auf und überzog die oberen Stockwerke mit 750 Kilo reiner Vergoldung, weshalb es seinen Namen erhielt: Der Goldene Tempel.
Ich bin ein Fan von Spielen, die es schaffen, dass ich mich mehr mit ihrem Thema auseinandersetzen möchte. Amritsar: The Golden Temple schlägt genau in diese Kerbe. Auch wenn ich schon von diesem prächtigem Tempel gehört habe, hatte ich kein Bild im Kopf, wie dieser in Realität aussieht. Mittlerweile ist ein Besuch Amritsars ein Punkt auf meiner „Bucket List“. Aber zwischenzeitlich konnte ich – zumindest im Brettspiel – am Bau des Tempels beteiligt sein. Ob das Spiel auch so spektakulär ist, wie der Tempel selbst, lest ihr im Folgenden.
Tim
SPIELBESCHREIBUNG
In Amritsar repräsentieren wir die verschiedenen Persönlichkeiten jener Zeit, die dem Maharadscha des Sikh-Reichs drei Jahrzehnte lang beim Wiederaufbau des Goldenen Tempels halfen und ihn mit den für jeden Teil des Tempels erforderlichen Materialien versorgten. Dazu müssen wir die Arbeiter und die von ihnen durchgeführten Aktionen optimal organisieren. Am Ende des dritten Jahrzehnts gewinnt wer die meisten Prestigepunkte erreicht hat.
Dabei wirft Amritsar viele verschiedene Mechanismen in einen Topf. Wir haben einen Mancala Mechanismus zum Bewegen der Arbeiter, die Elefanten bewegen sich im klassischen Rondell und Prestigepunkte generieren wir hauptsächlich über Mehrheitswertungen und dem Erfüllen von Aufträgen. Dazu kommt auch noch eine kleine Tableau-Building Komponente. Aber eins nach dem anderen.
Zu Beginn des Zuges schnappen wir uns unseren unübersehbar großen, bunten Elefanten. Den bewegen wir im klassischen Rondellstil um das Spielfeld herum: Ein Feld gratis – jedes weitere kostet eine Münze. Unser Elefant transportiert für uns Würfel, die wir im Laufe des Spiels erhalten, zu einem der vier Bezirke des Spielplans. Die Würfel benötigen wir um Güter zum Bau des Tempels zu spenden. Dazu aber später mehr.
Als nächstes suchen wir uns eine Gruppe Arbeiter aus. Während des Aufbaus wurden die Arbeiter unterschiedlicher Farbe zufällig in die acht Distrikte rund um den Tempel aufgeteilt. Unsere gewählte Gruppe, die aus allen Arbeitern dieses Distrikts bestehen muss, verteilen wir dann im „Mancala“-Stil im Uhrzeigersinn in die anderen Distrikte. Der Distrikt, in dem der letzte Arbeiter landet, ist der Ort, an dem wir im Anschluss eine Aktion ausführen. Bei guter Planung stimmt die Farbe dieses Arbeiters mit der Farbe eines der verfügbaren Aktionsplättchen überein, sodass wir sowohl eine Hauptaktion als auch eine schöne, farblich passende Nebenaktion ausführen können. Bei noch besserer Planung passiert all das auch noch in dem Bezirk, in dem sich gerade unser Elefant befindet. In dem Fall werden wir mit noch einer weiteren Aktion, die wir uns wieder aus den verfügbaren Aktionsplättchen aussuchen können, belohnt.
Die Aktionen, von den wir also 1-3 in jeder Runde ausführen, sind im Großen und Ganzen nicht kompliziert und klassische Euro-Kost: Ressourcen nehmen, Ressourcen ausgeben, Leisten erklimmen, auf dem Markt kaufen und verkaufen. Hier findet sich auch der Tableau-Building Mechanismus wieder. Nicht nur können wir unser Lager aufwerten und somit mehr Ressourcen lagern, sondern auch in „Choose-your-Scoring“ Manier unsere persönlichen Endwertungen freischalten.
Nach unserem Zug haben unsere Mitspielenden auch noch die Möglichkeit von unserem Zug zu profitieren, indem sie uns folgen: Falls die Farbe unseres ausgewählten Arbeiters mit der Farbe übereinstimmt, die ein oder mehrere Mitspielenden auf ihrem Tableau mit einer Aktion bereits verbessert haben, können sie diese Aktion ausführen. Hier ist auch der einzige Ort, an dem die Aktion „Spenden“ expliziert aufgeführt ist. Damit können wir einen der Würfel von unserem Elefanten in den Bezirk legen, in dem er steht, wenn wir die entsprechenden Ressourcen bezahlen. Dazu erhalten wir, je nach Ressourcen, Prestigepunkte. Vier Runden – ein „Jahrzehnt“ – später werden Punkte für Mehrheiten von Spenden pro Bezirk ausgeschüttet. Außerdem müssen wir Steuern bezahlen, und zwar mehr Steuern, desto mehr wir unser Tableau verbessert haben. Nach drei Jahrzehnten ist das Spiel zu Ende und zusätzlich zu den Punkten, die wir während des Spiels gesammelt haben, haben wir hoffentlich auch einige Punkte aus den persönlichen Endwertungen.
AUTOR: David Heras Pino ■ ILLUSTRATIONEN: Guillaume Berthoumieu
VERLAG: Ludonova ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2023
1-4 Spieler
ab 14 Jahren
60 – 120 Minuten
Spielregeln (ext. zu BGG)
SPIELGEFÜHL
Das Erste, was ich sagen muss, ist, dass dieses Spiel absolut wunderschön aussieht – von seiner auffälligen Illustration auf der Schachtel, seinem farbenfrohen Spielbrett, diesen bunten und großen Elefanten, die herumlaufen, und dem hölzernen Goldenen Tempel, der nichts anderes als ein Rundenzähler ist … alles ist ein absoluter Genuss für die Augen. Das allein sorgt für sofortiges Interesse am Spieletisch, ohne dass wir überhaupt angefangen haben. Für mich ist es allein schon optisch dem kulturell bedeutsamen historischen Schauplatz, in dem es spielt, würdig. Man merkt, dass Verlag und Autor sich viel Mühe bei der Umsetzung dieses Themas gemacht haben. Genau diese Mühe ist es auch, die mich dazu ermutigt hat, mehr über die wundervolle reale Umgebung zu lesen und zu erfahren.
Spielerisch steht für mich der Mancala Mechanismus absolut im Vordergrund. Somit erinnert mich Amritsar auch an den Klassiker Five Tribes. Alles beginnt mit der Frage, welche Gruppe Arbeiter ich nehmen muss, um die Aktionen auszuführen, die ich benötige. Mit Hilfe von Münzen kann ich sogar Distrikte überspringen. Das erhöht dann nochmals die Möglichkeiten. Im Anschluss kommt dann die Frage, ob ich denn auch noch den Elefanten da hinbewegen kann, oder er doch woanders stehen bleiben muss, weil ich an der Stelle Ressourcen spenden möchte. Das sind die Kerngedanken bei diesem Spiel.
Aber auch eine Nähe zu dem letzten Haupttitel des Verlages Sabika ist vorhanden. Tatsächlich war auch der Autor von Sabika, Germán P. Millán, an der Entwicklung von Amritsar beteiligt. Vor allem die sehr limitiere Lagermöglichkeit von Ressourcen ist in beiden Spielen eine Quelle schwerer Entscheidungen. Wie oft hat mir schon eine einzelne Ressource gefehlt hat, aber ich keinen Platz mehr dafür hatte. Natürlich hätte ich ganz einfach mein Lager ausbauen können, das kostet aber dann wieder Ressourcen. Also bleibt immer die Entscheidung, ob ich eine Partie mit der minimalen Kapazität vom Anfang durchziehen und alle Ressourcen sofort sinnvoll nutzen kann, oder ob ich mich doch um mehr Lagerraum bemühe, um später einfacher planen zu können.
Auch die „Choose-your-Scoring“ Mechanik haben beide Spiele gemeinsam. In Amritsar jedoch bekomme ich zu Spielbeginn 4 Wertungsoptionen zugelost. Meine einzige Entscheidung besteht also darin, diese zu aktivieren oder nicht. Auch wenn durch die Unterscheidung in vier verschiedene Typen von Wertungsplättchen, sichergestellt wird, dass die Auswahl, welche die Spielenden vor sich haben, einigermaßen, gleichwertig sind, habe ich mir in machen Partien gewünscht, dass diese nicht fest zugelost werden. An dieser Stelle hätte ich es besser gefunden, wenn die Wertungsplättchen offen ausliegen und ich mir dann eins aussuche, wenn ich die entsprechende Verbesserung auf meinem Tableau freischalte. Das würde auch die Komponente des Timings hinzufügen, da ich schauen muss, vor meinen Mitspielenden das gewünschte Plättchen zu bekommen.
Für Spannende Entscheidungen sorgt auch das Spenden von Ressourcen an den Tempel. Auf den ersten Blick sieht das ziemlich einfach aus, denn ich versuche einfach meine Würfel in dem Bereich abzulegen, der mir die meisten Punkte einbringt. Aber zum einen muss ja zunächst mein Elefant dort stehen, wo ich spenden möchte. Zum anderen werden am Rundenende Punkte ausgeschüttet, sollte ich die Mehrheit haben. Jeder Bezirk ist entweder einen, zwei, drei oder vier Punkte wert. Aber zu Beginn jedes Jahrzehnts wird jedem Bereich ein anderer Wert zugewiesen. Also kann es sein, dass der Bereich, auf den ich mich im ersten Jahrzehnt stark konzentriert haben, weil er für die Mehrheit vier Punkte wert war, im zweiten Jahrzehnt nur noch einen Punkt wert ist. Wir können bereits zu Beginn der Partie sehen welchen Bezirken in welcher Runde welche Punkte zugeordnet werden. Da ist gute Planung Pflicht, vor allem da viele Wertungsplättchen meine Spendenwürfel in gewissen Bezirken voraussetzen.
Erwähnenswert ist bei Amritsar die Skalierung bei einer unterschiedlichen Anzahl an Spielenden. Spielen wir nur zu zweit, werden zusätzliche Arbeiter auf dem Spielbrett verteilt. Einer dieser Arbeiter wir in jeder Runde „aktiviert“, sodass beide dieser Farbe folgen können, also die entsprechende Aktion auf dem Tableau ausführen können. Das ist natürlich der Ersatz für die fehlenden Möglichkeiten im Vergleich z. B. zu einem Spiel zu viert. Dadurch, dass diese Arbeiter aber sichtbar auf dem Spielfeld liegen, entwickelt sich dieser Aspekt des Spiels zu einer deutlich planbareren Komponente. Das führt dazu, dass Amritsar zu zweit nochmals an Spielspaß gewinnt.
In Amritsar gibt es keine herausragenden unterschiedlichen Elemente, auf die ich mich von Spiel zu Spiel konzentrieren kann. Also keine echte Entscheidung welche Strategie ich in der jeweiligen Partie verfolgen möchte. Auch wenn die Wertungsplättchen natürlich eine Richtung vorgeben, sind diese nicht unterschiedlich genug, um ein signifikant anderes Spielerlebnis zu liefern. Das ist aber auch gar nicht notwendig, denn die Spielerfahrung, die es bietet macht auch so schon viel Spaß. Amritsar läd auf jeden Fall zu mehreren Partien ein, nicht um etwas neues zu machen, vielmehr um es einfach besser zu machen als in der Partie zuvor.
Zusammenfassung
Amritsar ist ein unkompliziertes, mittelschweres Eurospiel – obwohl die Grundregeln ziemlich einfach sind, ergibt sich die Komplexität eher aus der Menge an Dingen, die wir in unserem Zug tun können. Es bringt dabei nicht bahnbrechend Neues auf den Tisch, kombiniert aber bekannte Euro-Mechaniken in ein spannendes neues Kennerspiel.
Wer mehr zur Entstehung von Amritsar erfahren möchte, dem sei der Designer Diary auf BoardGameGeek sehr empfohlen. Dort könnt ihr übrigens auch nachlesen, dass meine Vergleiche in der Rezension, nicht die Inspiration des Autors waren 😉.
- Wunderschöne Tischpräsenz und Thema, was Interesse weckt
- Spannender Mancala Mechanismus
- Abwechslungsreiche Mehrheitenwertung
- Schöne Adaption zu zweit
- Zulosung der Wertungsplättchen fühlt sich nicht richtig an
- Nicht geeigent, wenn man etwas grundlegend neues sucht
- Keine große Varianz
Aus meiner Spielerperspektive: Amritsar: The Golden Temple triggert mich thematisch mehr über den Tempel und seine Bedeutung zu erfahren. In Kombination mit einer wunderschönen und auffordernden Gestaltung und gutem Spielgefühl auf Kennerniveau ist es zu einem unserer Lieblingsspiele zu zweit nach einem Arbeitstag geworden. Es kommt aber nicht an die kniffligen Entscheidungen in Sabika heran.