Vor fast einem halben Jahr habe ich auf der Brettspielbox zur Diskussion gestellt, welche Perspektive für einen Rezensenten wichtig ist.
Betrachte ich bei meiner Rezension eher auf die Zielgruppe des Spiels oder ist für mich meine Lesergruppe im Vordergrund.
Das Thema ist damals auf große Zustimmung getroffen und viele haben sich im Kommentarbereich beteiligt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist damals aus Zeitgründen gescheitert.
Da es aktuell weitere Spiele gibt, an denen sich die Geister scheiden, ist es nochmals Grund für mich auf die damalige Diskussion zurückzublicken und die Ergebnisse jetzt doch zusammen zu fassen. Sorry, dass es ein wenig gedauert hat.
Einleitung
Für beide Seiten gibt es gute nachvollziehbare Argumente, warum Spiele aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden sollten. Hier habe ich die verschiedenen Gründe mal nebeneinandergestellt.
Vielspieler!
Vorab möchte ich jedoch einen Aspekt aus den Kommentaren berücksichtigen bzw. darauf eingehen: Was ist ein Vielspieler? Der Begriff wird häufig mit Liebhabern von Kenner- und Expertenspielen gleich gesetzte. Da ich aber sehr viele Familienspieler kenne, die sehr VIEL spielen, ist dieser Begriff eher irreführend. Schon die Jury hat ihren Preis nicht Vielspielerspiel des Jahres sondern Kennerspiel des Jahres genannt. Daher spreche ich im weiteren nur noch vom Kennerspieler (und beziehe damit die Expertenspieler gleich mit ein).
PRO Zielgruppe des Spiels
- Man sollte sich als Blogger in die Zielgruppe hineinversetzen können (inkl. eigener Spielgruppe) und den Verlag daran messen, ob es ihm gelungen ist, diese auch anzusprechen.
- Differenzieren, denn ein Familienspiel kann in seiner Klasse genauso gut sein, wie ein Kenner- oder Expertenspiel in der seinen. Komplex ist nicht gleich besser. Besser innerhalb dieser Klassen vergleichen, als über die Klassen hinaus. (Als Beispiel kann die Automobilindustrie dienen. Denn hier vergleiche ich auch innerhalb der PKW-Klassen: z.B. Kleinwagen, Mitteklasse, Oberklasse und nicht den Audi A8 mit dem Skoda Fabia)
- Anderer Anspruch an ein Spiel: Mängel aus Perspektive eines Kennerspielers sind nicht immer auch als Mängel aus Sicht des Familienspielers erkennbar.
- Spielneulinge bzw. Gelegenheitsspieler erhalten bessere Anhaltspunkte, wenn das Spiel aus ihrer Sicht beschrieben ist.
- Allerdings muss man es auch gewährleisten, dass man entsprechende Zielgruppen hat, mit denen man die Spiele ausprobiert.
PRO Lesergruppe des Blogs
- Den Leser interessieren Spiele nur aus seiner Perspektive. Was hilft es mir wenn ein Familienspiel generell als gut ausgewiesen wird, wenn es mich als Kennerspieler nicht interessiert. Jedoch andere Familienspiele durchaus auch ihren Reiz für „Kennerspieler“ entwickeln können.
- Ein Spiel „künstlich“ aus der Brille eines Familienspielers zu betrachten, führt zur Gefahr, dass man an der Zielgruppe vorbeirezensiert und dann gar nichts gutes bei herauskommt. Der „Kennerspieler“-Rezensent müsste sich verpflichten, „leichtere“ Spiele auch in entsprechenden Spielgruppen auszuprobieren. Kann er dieses überhaupt? (siehe oben)
- Ich weiss, welchen Blog ich zu was lese. Spielerfahrene sind in der Lage zu differenzieren, wer welche Meinung schreibt.
- Ein schlechtes Spiel bleibt ein schlechtes Spiel und wird nicht durch eine veränderte Spielgruppe besser.
Persönliches Fazit
Alle vorgetragenen Gründe sind aus meiner Sicht einleuchtend und nachvollziehbar.
Jedoch, werde ich dem einzelnen Spiel gerecht, wenn ich ein Familienspiel, was auch eher für diese Zielgruppe konzipiert wurde, allein unter Kenner- oder Expertenspielerbrillen oder auch umgekehrt ein Kennerspiel unter Familienspielern betrachte. Vielfach ist uns ein Spiel zu seicht, zu wenig herausfordernd (wenn Familienspieler teilweise unter der „Last“ ätzen). Dagegen ist dem Fan von Familienspielen ein nerdigeres Spiel nicht passend genug, zu kompliziert oder zu aufwendig. Und es fällt damit durch.
Erweitern möchte ich den Aspekt der Zielgruppe aus aktuellem Anlaß auch um den Zweck des Spiels. Dieses betrifft die Legacy wie auch Escape-Room-Spiele. D.h. wird das Spiel nur einfach (damit ist auch ein Zyklus Pandemic Legacy gemeint) oder mehrfach gespielt. Aktuell gibt es doch tatsächlich Rezensenten, die diese Spiele für nicht gut befinden, da sie nur einmal spielbar. ????
Wie man vielleicht schon heraushören kann, bin ich persönlich eher ein Freund davon, dem Spiel sich von der gedachten Zielgruppe und Zweck zu nähern. Schnell wird ein Spiel verrissen und dabei die entsprechende Perspektive nicht ausreichend dargestellt. So gelangen Bewertungen nicht gekennzeichnet im Äther. Damit soll aber auch nicht der Freifahrtschein ausgestellt sein, jedes Spiel nur noch für toll zu befinden, da es ja bestimmt irgendeine Zielgruppe geben wird, die dieses gut findet.
Daher werde ich mir jetzt in den kommenden Tagen noch einmal Gedanken über die Bewertungsstruktur meines Blogs machen, um eindeutiger herauszustellen, aus welcher Perspektive ich das Spiel sehe. Ggf. kann man ja auch bei einem Familienspiel noch den Hinweis geben, ob es auch Kenner/Expertenspielern zusagt oder zu leicht ist. Mehr dazu im Januar!
Bin mal gespannt, ob es dazu noch weitere Meinungen gibt.