Auf Spiele der 2-Personen-Reihe von Kosmos werfe ich immer ein besonderes Augenmerk. In den mittlerweile 25 Jahren sind bereits einige Perlen und Klassiker erschienen, die aus vielen Spieleregalen nicht mehr wegzudenken sind.
Nun erscheint im Herbst die Neuheit „Baumkronen“, welches unter dem Namen „Canopy“ auch über eine Kickstarterkampagne als Deluxeversion zu bekommen war. Wie fügt sich Baumkronen in die Kosmos-Reihe ein und was taugt es spielerisch?
Carina Brachter
SPIELBESCHREIBUNG
In Baumkronen managen wir ein Ökosystem im Regenwald. Es gilt, Tiere und Pflanzen anzusiedeln, Bäume wachsen zu lassen und bei allem müssen auch Bedrohungen und Gefahren einkalkuliert und abgewendet werden.
Wir spielen in diesem kartenbasierten Spiel über drei „Jahreszeiten“-Runden, in jeder spielen wir einen etwa gleich großen Stapel Karten durch und verteilen diesen unter den beiden Spieler:innen.
Der zentrale Spielmechanismus funktioniert wie folgt: Neben dem jeweiligen Jahreszeitenstapel liegen drei Stapel aus. Der erste besteht aus einer, der zweite aus zwei und der dritte aus drei Karten. Als aktive Spielerin schaue ich die erste Karte geheim an, entscheide, ob ich sie in meine Auslage nehme und aufhöre. Verzichte ich auf die Karte, wird eine Karte verdeckt hinzugelegt und ich darf den nächsten Stapel anschauen. Verzichte ich wieder, lege ich wieder eine Karte hinzu und es geht weiter. Verzichte ich auch auf den dritten Stapel, muss ich eine Karte vom verdeckten Jahreszeitenstapel ziehen und in meine Auslage nehmen.
Was für Arten von Karten gibt es?
- Mit Baumstämmen und Baumkronen entsteht der Regenwald. Baumstämme werden untereinander geschoben und so zu einem immer höheren Stamm. Sie tragen Werte, Baumkronen sind Multiplikatoren. Sind Bäume durch die Baumkrone abgeschlossen, werden sie am Ende einer Jahreszeit gewertet. Ggf. gibt es Zusatzpunkte, wenn es sich um den höchsten Baum handelt.
- Tiere bringen Fähigkeiten mit sich, die positive und negative Auswirkungen auf das Spielgeschehen haben können. Zudem können sie Siegpunkte einbringen, als Paare dann noch mehr.
- Pflanzen bringen meist Punkte, wenn man davon ein bestimmtes Set sammelt. Jede Art hat ihre Eigenheiten. Zu viele Karten können auch Punktabzüge bringen.
- Gefahren führen meist zum Verlust von Karten. Bei einer bestimmten Menge muss ich alleine dafür geradestehen, ist die Gefahr größer, reiße ich mein Gegenüber ebenfalls mit ins Übel.
- Wetter sollte zwischen Sonne und Regen ausgeglichen sein. Dann gibt es Punkte.
- Habe ich Samenkarten gesammelt, darf ich am Jahreszeitenende Karten von einem Extrastapel ziehen und meine Auslage noch ergänzen.
Am Ende einer Jahreszeit werden zunächst die Tiereffekte ausgespielt, die Samenkarten abgehandelt, Gefahren betrachtet, Bäume, Wetter und Pflanzen ausgewertet. Nach dem Aufräumen geht es in die nächste Jahreszeit, die ebenso verläuft. Bei Spielende gibt es noch Extrapunkte für die meisten Bäume im Regenwald. Wer danach die meisten Punkte hat, gewinnt Baumkronen.
AUTOR: Tim Eisner ■ ILLUSTRATION: Vincent Dutrait
VERLAG: Kosmos ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2021
2 Spieler
ab 10 Jahren
ca. 30 Minuten
Spielregeln (ext. Link zu Kosmos)
SPIELGEFÜHL
Nicht nur optisch überzeugend
Ohne lange drumherum zu reden: Uns hat Baumkronen nicht nur gefallen, es hat uns richtig begeistert! Zumindest kam es in den ersten sieben Tagen direkt zehnmal auf den Tisch. Dabei habe ich anfänglich nicht sehr viel vom Spiel erwartet: Den Titel und das Cover fand ich nicht sonderlich aufregend. Ehrlich gesagt sogar ein bisschen langweilig.
Das Spiel selbst besteht dann im Wesentlichen aus Karten, deren Illustrationen in der Mehrheit sehr ansprechend sind – viele extrem naturgetreu, manche Bilder erinnern schon fast an Fotos. Die Illustration von Vincent Dutrait hatte ich aber auch nicht anders erwartet.
Schnell mit dem Tucan auf Du und Du
Man kommt relativ schnell in das Spiel rein, auch wenn die Anleitung mit zwölf Seiten für ein 2-Personen-Spiel recht lang ist. Alles ist aber gut und ausführlich sowie mit Beispielen und einem umfassenden Glossar erläutert.
Das Spielprinzip an sich ist am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, aber alles andere als schwierig. Ganz im Gegenteil: Kartenstapel anschauen, entscheiden, ob ich ihn haben will, nehmen und vor mich ablegen oder weitermachen.
Auch die Verwendung der Karten in der eigenen Auslage ist nicht schwierig. Bäume baue ich einfach in die Höhe, bis eine gezogene Baumkrone mich zum Abschluss zwingt. Bei den Pflanzen ist es einfaches Set Collection. Bei einer bestimmten Menge erhalte ich x Punkte. Mit Tieren sammle ich Paare oder kann Sonderfähigkeiten nutzen. Alles keine völlig neuen Elemente. Man darf nur den Überblick nicht verlieren!
Nichts richtig Neues, aber trotzdem gelungen
In Baumkronen ist das alles aber zu einem flott spielbaren, fluffigen und ansprechenden neuen Spiel verwoben. Und das mit schönen taktischen Möglichkeiten: Diese liegen zunächst einmal im Auswahlmechanismus. Nehme ich die Karte/n oder verzichte ich und mache den Stapel mit der zusätzlichen Karte, die nun darauf gelegt wird, für mein Gegenüber attraktiver? Jedes Stapelanschauen bringt daher einen Entscheidungsdruck mit sich, der das Spiel sehr interessant macht.
Ein wenig Push-your-luck steckt dann auch noch darin, denn jedes Mal frage ich mich: Ist der nächste Stapel nicht vielleicht lukrativer für mich? Was war da nochmal drin? Bringt mir der Stapel ggf. die noch fehlende Bromelie? Ist vielleicht eine Baumkrone hinzugekommen, die mich meinen Baum abschließen lässt?
Ein größeres Feuer verbrennt nicht nur meine Pflanzen…
Natürlich liegt die taktische Vielfalt im Management der eigenen Karten und im Beachten der Auslage des Gegenübers.
Bedrohungen und Gefahren wollen gut gemanagt sein. Erhalte ich davon zu viele, habe ich Nachteile zu tragen, muss am Ende der Jahreszeit vielleicht lukrative Karten abgeben. Bin ich beim Sammeln bestimmter Karten aber schon über das Ziel hinaus geschossen und in den Minusbereich gelangt, kann ich das ggf. durch sonst ungünstige Karten wieder ausgleichen, weil ich hier am Ende der Jahreszeit durch Abgeben der Karten wieder in den positiven Bereich komme.
Meine Gefahren können auch mein Gegenüber erwischen, wenn ich eine bestimmte Anzahl Karten sammle. Das kann ich manchmal auch ganz bewusst steuern, sofern mir die Kartenauswahl die Möglichkeit gibt. Auch darauf muss also geachtet werden und ein Auswahlstapel wird auf einmal deutlich attraktiver, wenn man damit sein eignes Unheil abwenden kann.
Wer braucht schon Bäume, wenn er Bromelien haben kann?
Oft ergeben die namensgebenden Baumkronen aber gar nicht die meisten Punkte. In manchen Runden schafft man es noch nicht einmal, einen einzigen Baum fertigzustellen. Auch, wenn man Bonuspunkte für den höchsten Baum erhalten kann, ist das Sammeln von Sets im Bereich der Pflanzen und beim Wetter schonmal deutlich punkteträchtiger. Von daher ist der Spieltitel ggf. etwas irreführend. Zumindest dachte ich in der ersten Partie noch, dass der Schlüssel zum Erfolg im Fertigstellen der Bäume liegt. Mittlerweile weiß ich, dass die anderen Pflanzen durchaus einträglicher sein können.
Faserrübling, Fäulnis und Vogelspinne
Für die, die Baumkronen bereits besser kennen, ergibt sich weitere Varianz und auch eine höhere Spiellänge durch das Einmischen weiterer Spezial-Karten. Dies sind weitere Pflanzen, Gefahren und Tiere, die neue Elemente in das Spiel bringen. Mit allen Karten spielt man dann insgesamt um die 120 Karten durch. Mit dem Auswerten der Punkte, dem Ab- und Aufräumen kommt man dann gut auf die angegebenen 30 Minuten. Je besser man das Spiel kennt, desto flüssiger spielt es sich und es geht sehr lässig von der Hand.
Haare in der Suppe?
Es gibt nur Weniges, was ich an Baumkronen auszusetzen habe. Schade finde ich, dass sich die Karten extrem schnell abnutzen. Da ich kein Freund des Sleevens bin, sind unsere Karten recht ungeschützt dem ständigen Aufnehmen und Nachschauen ausgesetzt.
Außerdem muss bei der Spielvorbereitung ordentlich und viel gemischt werden, so dass die Beanspruchung hier bereits beginnt. Generell beansprucht die Vorbereitung ein wenig Sortiererei und Gemische. Es hält sich aber alles in einem erträglichen Rahmen.
Desweiteren benötigt man für Baumkronen recht viel Platz auf dem Spieltisch. Die Auslage wird mit allen Spielkarten im Einsatz schonmal ziemlich groß und bisweilen unübersichtlich. Wem das zu viel wird, sollte ggf. nicht alle Karten einmischen und eher beim Grundkartensatz bleiben.
Zusammenfassung
Baumkronen ist in der 2-Personen-Reihe von Kosmos ein weiteres Highlight. Das Kartenmanagment- und Set Collection-Spiel mit einer Prise Wettrennen und Push-your-luck hat einen sehr angenehmen Spielfluss und ist ansprechend illustriert. Es ist nicht zu anspruchsvoll, bietet aber schöne taktische Elemente und Interaktion.
Baumkronen setzt die Reihe daher würdig fort, denn es ist ein perfektes Spiel für Zwei, bietet einen schönen Anspruch, hat eine gute Spiellänge und verfügt mit weiteren Ergänzungen über Raum für Varianz und Wiederspielreiz.
- Hübsche Illustration mit naturgetreu gestalteten Karten
- Zugänglicher Spielmechanismus mit schöner taktischer Tiefe
- Angenehmer, lockerer Spielfluss
- Die Kartenauslage kann am Ende der Jahrszeiten unübersichtlich werden
- Karten nutzen sich durch das viele Aufnehmen schnell ab
- Gutes Mischen und ein wenig Sortiererei als Spielvorbereitung vonnöten
Aus meiner Spielerperspektive: Baumkronen ist genau das Richtige für mich und daher in der persönlichen Wertung ein klarer KNALLER. Ich mag die Spielmechanismen und den fluffigen Spielablauf. Es ist schnell gespielt, nicht zu fies und endet häufig in einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Für mich persönlich daher ein absoluter Gewinn, der noch oft auf den Tisch kommen wird, sofern die Karten durchhalten.