Geheimagenten im Wien der 1950er Jahren auf der Suche nach Geheiminformationen – das klingt geheimnisvoll und spannend. Und dies ist das neue Setting für das ursprünglich bei Alea erschienene Brettspiel „La Isla“, in dem wir mit Wissenschaftlern auf die Suche nach Tieren zu gehen, die wir genauer studieren wollen.
Den Vorgänger habe ich nicht spielen können und kann daher nicht vergleichen. Vienna, die Nr. 5 in der Stefan-Feld-City-Collection durfte ich bereits einige Mal auf den Tisch bringen – sowohl in der einfacheren Einsteigerversion, als auch in der komplexeren Vollversion. Wie es gefällt, berichte ich unten stehend.
Carina Brachter
SPIELBESCHREIBUNG
In Vienna erhalten alle jeweils einen Schreitisch als persönliches Spieltableau sowie Agentenfiguren in der eigenen Spielfarbe, die später auf dem ausliegenden Spielplan eingesetzt werden können.
Der Spielplan hat zwei Seiten – einen für die Einsteigerversion, einen für die Vollversion. Beschrieben wird hier der Ablauf der Vollversion.
Die Kartenphase wird gemeinsam gespielt. Alle ziehen drei Karten und ordnen sie an drei Slots oberhalb des Schreibtisches an. Die Karten zeigen dabei alle für die unten genannten Abschnitte I, II und IV jeweils unterschiedliche Optionen, so dass die Anordnung gut durchdacht werden muss.
Danach wird die Aktionsphase gespielt, also das Aufdecken und Nutzen der abgedruckten Aktionen. Dies erfolgt nacheinander im Uhrzeigersinn. Die vier Abschnitte spielen sich wie folgt:
Im ersten Abschnitt legen wir eine Karte in einen der drei Slots unten am Schreibtisch an. Mit diesen Karteneffekten können wir Vorteile oder Boni bei bestimmten Aktionen erhalten und ggf. auch eine kleine Engine aufbauen.
In der zweiten Phase erhalten wir das auf der Karte aufgedruckte Bestechungsmittel.
In der dritten Phase können wir einen Geheimagenten auf dem Spielplan einsetzen, indem wir die passenden Bestechungsmittel abgeben.
In der vierten Phase dürfen wir den auf der Karte abgedruckten Geheiminformationsanzeiger auf der entsprechenden Leiste voransetzen.
Auf diesen Leisten versuchen wir den Wert der Marker zu beeinflussen, so dass wir mit den von uns gesammelten Geheiminformationsplättchen bei Spielende möglichst viele Punkte erhalten.
Doch wie gelangen wir an diese Geheiminformationen? Diese liegen auf dem Spielplan zwischen Orten, auf denen wir unsere Agenten einsetzen. Es bedarf Agenten an entweder zwei, drei oder vier umgebenden Orten, um eines dieser Geheiminformationsplättchen einsammeln zu dürfen. Auch für das Einsammeln erhalten wir bereits Punkte.
Zudem gibt es die Möglichkeit, Aufträge zu sammeln und im Laufe des Spiels zu erfüllen. Auch hierfür kann es Punkte oder Geld geben, mit dem wir zu bestimmten Zeitpunkten des Spiels Dinge einkaufen können: z.B. mehr Agenten, Beistelltische für mehr Platz auf dem Schreibtisch oder Schreibtisch-Plättchen, die uns dauerhafte Vorteile bringen.
Das Spiel endet nach einer bestimmten Anzahl an Runden, die durch das Fortschreiten der Geheiminformationsanzeiger bestimmt wird.
Bei der Endwertung werden nach der Einsteiger- und Vollversion verschiedene Dinge gewertet, wobei die Komplexität deutlich unterschiedlich ist. Bei beiden Versionen gewinnt Vienna, wer die meisten Punkte erzielen konnte.
AUTOR: Stefan Feld ■ ILLUSTRATIONEN: Lukas Sigmon
VERLAG: Queen Games ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2023
2-4 Spieler
ab 14 Jahren
ca. 60-90 Minuten
Spielregeln (ext. Link zu Queen Games)
SPIELGEFÜHL
Vienna ist in der Vollversion ein gehobenes Kennerspiel, das man aber durch die enthaltene Einsteigerversion sehr gut erlernen kann. Hat man das Spiel in dieser Version ein- oder zweimal gespielt, ist der Schritt hin zur Vollversion der logische nächste Schritt. Diese Hinführung an das Spielprinzip, die aber auch in Runden mit weniger versierten Mitspielenden genutzt werden kann, ist ein schöner Pluspunkt des Spiels.
Aber auch in der Einsteigerversion hat man bereits einiges an Symbolen zu lernen, die man zu Beginn auch häufiger in der beiliegenden Symbolerläuterung nachschlagen muss. Hat man das Grundprinzip der Symbolik einmal verinnerlicht, ist das nicht mehr notwendig und die Zeichen sprechen für sich.
Äh, wo ist nochmal…?
Auf dem Spielplan von Vienna ist eine Menge los – manch einem gelingt die Orientierung auf dem Spielplan erst nach einigen Partien:
- Hier finden sich die Gebäude, in die man die Agenten einsetzt,
- dann jeweils noch Flaggen, die den Nationalitätsbezug des Gebäudes anzeigen.
- Außerdem die Abbildung der Bestechungsmittel, die gezahlt werden müssen, um an den Orten Agenten einsetzen zu dürfen.
- Und vor allem das Wegenetz zwischen den Orten, die dorthin und davon weg führen.
- Und schließlich noch Abbildungen von Siegeln und Buchstaben für bestimmte Spezialaufträge.
- Nicht zuletzt stehen dann auch noch die Agentenfiguren auf dem Spielplan, die bereits eingesetzt wurden.
Da wird es eng und bisweilen unübersichtlich. Manchmal sucht man die entsprechenden Orte lange, beispielsweise, wenn man für die Erfüllung eines Geheimauftrags seine Figur an einen bestimmten Ort einsetzen muss, um einen Geheimauftrag zu erfüllen. Die Orientierung wird im Laufe der Partien besser und auch hier bietet es sich an, sich mit der Einsteigerversion an die Optik zu gewöhnen, da dort einige Merkmale nicht abgedruckt sind.
Kartenmanagement mit Köpfchen
Neben den – bekannten – Spielelementen Setcollection und Wertsteigerung, die durch das übliche „Leistenschubsen“ erfolgt, ist das Ausspielen der Karten zu Beginn jeder neuen Runde ein prägendes Element von Vienna. Dadurch ist das Spielgeschehen sehr linear aufgebaut und folgt mit jeder Runde dem gleichen Schema bzw. Handlungsablauf. Das Auswählen der Karten ist ein schönes Spielelement, das uns immer wieder vor interessante Entscheidungen stellt und uns Abwägen lässt, welche Option nun die beste ist. Da alle gleichzeitig spielen, wird zudem die Gefahr überlanger Downtime eingegrenzt.
Doch wie wähle ich meine Karten am besten aus? Ich entscheide meist zunächst danach, ob auf einer der Karten das Bestechungsmittel abgebildet ist, welches ich dringend benötige. Das liegt dann schonmal auf Aktionsplatz 2. Danach suche ich meist aus, mit welcher Karte ich die Wertsteigerung meiner Geheiminformationsmarker am sinnvollsten vorantreiben kann. Da ich für jeden Marker einen Punkt erhalte, wenn ich die entsprechende Leist pushe, ist die Entscheidung meist recht einfach.
Die letzte Karte kommt dann meist auf Aktionsplatz 1, denn die Erfahrung habe ich im Spiel zum überwiegenden Teil gemacht: Man hat irgendwie nur sehr selten die passende Bonusaktion auf der Hand, die man im derzeitigen Spielzug wirklich gut gebrauchen kann. Es gibt in der Vollversion 175 Spielkarten und es gibt so viele Effekte – ich zweifle, dass man diese alle braucht. Im Spiel zu zu zweit, haben die Karten mit dem „Zu jemand anderem dazustellen“ meist auch nur wenig Nutzwert.
Und fast immer habe ich bei der Kartenauswahl den Eindruck: Da ist nie die richtige für mich dabei. Nur selten gelingt es, eine richtige Engine aufzubauen. Hat man beispielsweise eine Karte, die einem doppelte Bestechungsmittel einbringt und kann diese mit einer zweiten Karte auch noch als Joker-Bestechungsmittel einsetzen: Bombe! Aber diesen Jackpot knackt man nur sehr selten.
Auf die richtige Bestechung kommt es an!
Da spielt dann auch wieder das Glück eine große Rolle, denn derjenige, der so eine Engine aufbauen kann, wird daraus garantiert erhebliche Vorteile ziehen. Ebenso wichtig ist es, dass man immer die richtigen Bestechungsmittel zur Hand hat und – vor allem – rechtzeitig für Nachschub sorgt! Auf Null laufen ist ungünstig. Wichtig ist dann, nicht zu vergessen, man auch, statt einer Figur einzusetzen, Geld oder Bestechungsmittel nehmen kann. Das habe ich in meiner Erstpartie übersehen und habe daher völlig den Anschluss verloren. Denn wenn du mal keinen Agenten einsetzen kannst, wirft dich das auf jeden Fall zurück. Wenn man dies einmal leidvoll erfahren hat, ist man künftig gewappnet und weiß, entsprechende Vorkehrungen zu treffen!
Auf der Pirsch nach Geheiminformationen
Wirklich schön gelungen ist die Verzahnung der Spielelemente miteinander. Das Hochpushen der Leisten, was sehr mit dem Spielfortschritt verwoben ist und daher manchmal auch taktisch genutzt werden kann, gefällt mir gut.
Ebenso taktisch klug gilt es, auf dem Spielplan zu Agieren. Das systematische „Abgrasen des Spielplans“ und das Erbeuten der Geheiminformationsplättchen macht am meisten Sinn, wenn man in einer Ecke des Spielplans beginnt und sich dann netzartig auszubreitet, um die entsprechenden Plättchen abzuräumen. Auf diese Weise kann man einen Ort besetzt halten und direkt alle Verbindungswege nutzen, um Plättchen zu erhalten und dann auch strategisch Agenten aus den bereits abgeräumten Bereichen wieder abzuziehen. Diese Planung macht Spaß – sofern sie einem nicht kaputt gemacht wird. Zu zweit kann man sich auf dem Spielplan auch gut aus dem Weg gehen und seine „Claims abstecken“. Zu Viert hingegen kann man sich die Mitspielenden kaum vom Leib halten.
Und sonst so?
Das Erfüllen der Geheimaufträge und das Füllen der Geldkassette sollte man ebenfalls nicht aus den Augen verlieren – damit kann man gut Punkte machen! In Kombination ist das besonders schön, denn in die Geldkassette fließt ja auch immer Geld rein, wenn man einen Auftrag erfüllt.
Der Kniff des Spiels, dass man zwischendrin seine Figuren bezahlen muss, damit sie auf dem Spielfeld bleiben können, ist interessant gewählt. Teilweise stehen sie zu diesem Zeitpunkt in bereits von Geheiminformationsplättchen völlig abgeräumten Gebieten, so dass man die Agenten gar nicht bezahlen muss, denn sie machen dort eh keinen Sinn mehr. Dann nimmt man sie gerne freiwillig zurück. Andererseits kann es extrem weh tun, dass man nicht genug Geld hat und Figuren wieder vom Feld nehmen muss, obwohl man doch ganz kurz davor war, ein Vier-Punkte-Geheiminformationsplättchen zu ergattern.
Mit hochgeschlagenem Mantelkragen
Ist Vienna denn auch ein thematisches Spiel? So wirklich Geheimagenten-Feeling kommt keines auf, das habe ich bislang nicht erlebt. Schön ist, dass man es mal mit einem etwas anderen Setting versucht hat. Leider gefällt mir auch das Cover nicht – übrigens das erste Cover von Lukas Siegmon, das mich nicht anspricht. Mich erinnert das Cover eher an einen wirren Traum, aus dem man erschreckt erwacht.
Die Gestaltung des Spielmaterial – ich habe die hochwertige Spielausstattung mit Acrylmaterial spielen dürfen – ist sehr wertig. Besonders hat es mir die Gestaltung der Spielertableaus in Form der Schreibtische angetan
Die Verpackung des Spielmaterials in den beiliegenden Kisten ist toll, alles hat seinen Platz, alles ist bestens verstaut. Allerdings ist der Auf- und Abbau auch etwas zeitaufwendig (ca. 20 Minuten).
Eine Herausforderung an die Feinmotorik ist allerdings das Abpiddeln der Schutzfolie von den ganzen Acrylplättchen – das grenzt an eine Strafarbeit. Die Agenten sind als Acrylfiguren sehr hübsch gestaltet, allerdings erkennt man manchmal nicht, welche Farben sie haben – je nachdem, wie sie gerade auf dem Spielfeld eingesetzt wurden.
Die Spielhilfe ist sehr detailliert gestaltet – am Anfang verwirrt sie mehr, als dass sie hilft. Aber sie dient als gute Orientierung, wenn man das Spiel kennt und nach längerer Zeit wieder rausholt.
Zusammenfassung
Vienna ist ein gehobenes Kennerspiel in einem recht unverbrauchten Geheimagenten-Setting. Mittels Kartenauswahlphase, die wir gleichzeitig spielen, reduziert sich die Downtime. Wir gestalten unsere Aktionsphase so, dass wir mit unseren Agenten Geheiminformationsplättchen vom Spielfeld ergattern, um dann deren Wert für die Schlusswertung zu steigern.
Die Spielelemente sind nicht nur wertig und ansprechend gestaltet, die Mechanismen sind schön und sinnvoll miteinander verwoben und machen taktisches Handeln möglich. Allerdings spielt das Glück, die richtigen Karten zu bekommen, oft eine Rolle und kann uns manchmal nach zum Nachteil gereichen.
- Einsteiger- und Vollversion enthalten
- Tolles und schön gestaltetes Spielmaterial und wertige Ausstattung
- Sehr klare, lineare Spielstruktur mit taktischem Handlungsspielraum
- Viele Informationen auf dem Spielplan erfordern etwas Übung, Gewöhnung und „Ein-Sehen“
- Symbolsprache muss zunächst verinnerlicht werden
- Viele Effekte auf den Karten, aber selten die gerade passenden zur Hand
Aus meiner Spielerperspektive: Vienna ist eine schöne Fortführung der City-Collection-Reihe. Als Fan der Spiele von Stefan Feld erreicht mich auch Vienna, das ich wirklich gerne spiele. Allerdings frustriert mich manchmal die Kartenauswahl, die einfach nicht zu meinen Plänen passen will. Natürlich ist es herausfordernd, das Beste aus dem zu machen, was man gerade zur Hand hat. Daher ist für mich nach wie vor Wiederspielreiz vorhanden und das Spiel kommt immer wieder gerne auf den Tisch.