Eines haben die T-Spiele doch irgendwie immer gemeinsam: Die Frage nach der richtigen Aussprache des Titels! Auch bei Tiletum herrschte zunächst Unsicherheit – schließlich entführen uns einige der T-Spiele in wichtige Epochen der Menschheitsgeschichte und für Mitteleuropäer eher „fremde“ Kulturen.
Doch das Brettspiel „Tiletum“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als lateinischer Name der westflandrischen Stadt Tielt mit rund 20.000 Einwohnern. Eine kleine Stadt im Herzen Europas, in der ab Ende des 14. Jhdt. jährlich ein großer Markt durchgeführt wurde, der besonders für Tuchmacher von Bedeutung war. Aber nun genug der Vorrede und geschichtlichen und sprachlichen Einordnung. Tiletum ist ein tolles Eurogame! Warum, lest Ihr im Folgenden.
Carina Brachter
SPIELBESCHREIBUNG
Tiletum entführt uns in die frühe Renaissance. In der Rolle von Kaufleuten reisen wir durch Europa, betreiben Handel, errichten Handelsposten, investieren in den Bau von Kathedralen, erfüllen Aufträge und versuchen Einfluss bei noblen Familien zu erlangen.
Im spielerischen Kern ist Tiletum ein Würfelmanagementspiel, das wir über vier Runden spielen. Zu Beginn jeder Runde werden die Würfel, die wir aus einem Säckchen ziehen, gewürfelt und dann nach ihren Werten auf dem Aktionsrad zugeordnet. In jeder Runde dürfen wir uns insgesamt drei dieser Würfel dort nehmen. Die Würfel bringen uns Ressourcen ein und wir können die dazugehörigen Aktionen ausführen. Die Augenzahl des Würfels gibt an, wie viele Ressourcen wir bekommen, die Würfelfarbe bestimmt die Ressource. Der Kniff besteht darin, dass die Stärke der Aktion – „umgekehrt proportional zum Wert des Würfels“ ist. Bedeutet: Bekomme ich 5 Ressourcen, darf ich die Aktion nur mit Stärke 2 durchführen. Erhalte ich nur eine Ressource, darf ich die Aktion mit Stärke 6 durchführen.
Folgende Aktionen sind dabei möglich:
- Mit der Aktion „Handel“ reise ich auf der Karte auf dem Spielplan herum, besuche Städte, baue Handelsposten und kann Bonusplättchen einsammeln.
- Mit der Aktion „Architektur“ reise ich mit meiner Architektenfigur über die Karte, kann Städte besuchen, dort Bonusplättchen einsammeln oder Säulen in Städten bauen. Nur, wenn ich diese in einer Stadt platziert habe, kann ich mich dort auch später am Bau einer Kathedrale beteiligen.
- Als weitere Aktion kann ich Gäste in meine Gästezimmer auf meinem eigenen Spielplan einladen, um dort meine Gästezimmer zu füllen. Die Personen bringen mir Boni und gefüllte Zimmer bzw. Häuser bei Spielende Punkte.
- Im Bereich „Vertrag“ kann ich Verträge erwerben, die mir bei Erfüllung – also durch Abgabe bestimmte Ressourcen – ordentlich Punkte bringen. Hier kann ich auch als weitere Aktionen Ressourcen tauschen.
- Dann gibt es noch die Möglichkeit, auf der Königsleiste voranzuschreiten, was mir Punkte und Boni einbringt.
- Und zu guter Letzt gibt es noch eine Joker-Aktion, die man auswählen und dann eine der anderen genannten Aktionen durchführen kann.
Bei Rundenende findet dann immer in einer der Städte eine Handels-Messe statt. Bei Spielbeginn werden drei der vier Orte immer durch das Ziehen von Plättchen zufällig bestimmt. Die erste Messe findet immer in Tiletumstatt. In jeder weiteren Runde in einer neuen Stadt, in der wir präsent sein müssen, um an der Wertung teilnehmen zu können. Präsent sein heißt, dass wir dort entweder ein Haus haben müssen oder mein Handelswagen dort stehen muss.
Hier werden dann bestimmte Bedingungen gewertet – diese werden ebenfalls bei Spielbeginn zufällig gezogen und zugeordnet. Hier wird beispielsweise eine bestimmte Punktzahl multipliziert mit allen bis dahin gebaute Säulen oder mit der Anzahl der bis dahin erbauten Kathedralen etc.
Tiletum endet nach der vierten Runde. Dann findet eine Endwertung statt, bei der wir noch Punkte für möglichst viele komplett gefüllte Gästehäuser erhalten, in der wir unsere gebauten Säulen mit den errichteten Häusern multiplizieren und unsere restlichen Ressourcen noch in Punkte umtauschen. Wer es auf der Siegpunktleiste am weitesten geschafft hat, gewinnt Tiletum.
AUTOR: Daniele Tascini, Simone Luciani ■ ILLUSTRATIONEN/GRAFIK: Zbigniew Umgelter, Giorgio De Michele
VERLAG: Giant Roc ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2022
1-4 Spieler
ab 14 Jahren
ca. 60-100 Minuten
Spielregeln (ext. Link zu )
SPIELGEFÜHL
Ein Traum für Eurogamer
Bevor wir ins Detail gehen so viel schonmal vorab: Tiletum gefällt mir extrem gut. Das Spiel ist ein MUSS für Liebhaber von komplexen Eurogames. Wer es mag, seine Züge gut zu durchdenken, sich dabei immer wieder von unterschiedlichen Möglichkeiten überraschen zu lassen, die einem Boni in Kettenzügen bieten, der ist hier goldrichtig! Dabei ist Tiletum ein wenig zugänglicher als die meisten anderen T-Spiele. Es bedient sich vielen bekannten Abläufen, die man aus anderen Eurogames kennt, kombiniert diese aber zu einem sehr gut funktionierenden neuem ganzen – einer gut geölten Euro-Maschine sozusagen, die ein tolles, belohnendes Spielgefühl erzeugt.
Darf ich vorstellen: Das Aktionsrad
Neu ist hier der Kniff, der sich hinter dem Aktionsrad verbirgt. Dass ein Würfel eine Aktion bestimmt, kennen wir. Allerdings nicht in der Weise, dass der Würfel für drei unterschiedliche Faktoren steht. Er bestimmt mit Farbe und Augenzahl die Ressource und dann umgekehrt proportional noch die Stärke der gewählten Aktion. Allein diese drei Faktoren lassen einem bereits eine Menge Raum, um gut über die Auswahl der Aktion nachzudenken, die wir wählen, sobald wir an der Reihe sind.
Die Planungen und Gedankengänge in diesem Spiel können ganz schön lang sein: Sie beginnen bei der Aktion und dem Würfel, also dem Hauptaktionsspielraum meiner Aktion für den Spielzug, sowie den Ressourcen, die ich erhalte. Dann erhalte ich ggf. noch ein Bonusplättchen, das mir weitere Möglichkeiten bietet. Auch durch meine Aktion erhalten ich ggf. weitere Boni, die mir dann ebenfalls wieder Spielräume eröffnen, die ich im gleichen Spielzug oder später nutzen kann.
Aktionschips für den Überblick
Sehr wichtig sind daher die im Spiel enthaltenen Aktionschips, die ich mir nach Stärke meiner gewählten Aktion auch nehmen sollte, um in meinem Spielzug die Übersicht zu bewahren. Da ich als Nebenaktionen noch Bonusplättchen mit anderen Aktionen nutzen, Aufträge erfüllen, Kathedralen bauen, Tauschaktionen durchführen sowie Wappen in meinen Gästehäusern platzieren kann, verläuft man sich schon einmal in seinem eigenen Spielzug und man weiß bisweilen gar nicht mehr, welche Ausgangsaktion man eigentlich gewählt hatte. Da hilft ein Blick auf den gewählten Würfel und auf die verbliebenen Aktionschips, um wieder den losen Faden aufnehmen zu können.
Und dies noch, und das noch und hier kann ich auch noch…
Da man aber so viele Boni erhält und trotz der nur 12 Spielzüge so unendlich viel tun kann in diesem Spiel, ist das Spielgefühl sehr belohnend und damit fast immer positiv. Negativ empfunden wird es natürlich dann, wenn die Vorgänger:innen den ausgesuchten Würfel und alles was daran hängt, wegschnappen und man nun wieder neu überlegen muss. Das kann aufgrund der geistigen Abzweigungen, die man hier immer wieder nehmen muss, ein wenig dauern. Hier entsteht Downtime, die zu Viert natürlich deutlich größer ist als zu Zweit.
Durch das Sperren bestimmter Felder funktioniert Tieltum zu Zweit aber ebenso gut in kleiner Runde. Es ist dann auch ein wenig besser zu kalkulieren, da man hier bei bestimmten Würfel-Kombinationen sicher sein kann, dass man bestimmte Aktionen noch bekommt, während bei mehr Spieler:innen da nicht sicher sein kann.
Immer wieder anders!
Ebenfalls herausragend ist die Variabilität des Spiels. Alle entscheidenden Spielelemente werden in jeder Partie neu und individuell bestimmt, so dass keine Partie der vorhergehenden gleicht. Gerade bei den Messestädten und -plättchen sowie der Reihenfolge, in der man diese für die Partie bestimmt, ergibt sich oft eine Spielstrategie sowie auch die Menge an Gesamtsiegpunkten, die man je Partie erzielen kann.
Wenn die Messeplättchen aufeinander aufbauende Bedingungen beinhalten, sind hier teilweise extrem viele Punkte zu holen. In anderen Kombinationen ist es auch denkbar, eine Messewertung mal auszulassen und sich lieber auf die danach folgende Wertung gut vorzubereiten. Bei einer Bedingung ist es sogar möglich, Minuspunkte zu erhalten – die sollte man dann eh lieber auslassen. Dies alles gestaltet sich in jeder Partie anders und macht es notwendig, sich auf die Gegebenheiten einzustellen. So wird Tiletum nie langweilig!
Zugängliche Materialschlacht
Der Preis für diese Variabilität ist die Masse an Material, die dazugehört. Diese bringt mit sich, dass man für Auf- und Abbau ein wenig Zeit einkalkulieren muss. Seltsam, dass bei all dem mitgelieferten Material keine Tüten in der Schachtel zu finden sind, in denen man all die Plättchen und Materialien verstauen kann.
Die Regeln sind gut geschrieben, das Spiel wird dadurch schnell verstanden – auch die Symbolsprache ist sehr gut verständlich. Tiletum lässt sich auch sehr gut erklären, allerdings ist es doch schade, dass das Spiel keine Spielübersicht mitbringt (auf BGG verfügbar – LINK).
Die wäre für Neulinge hilfreich, um auf einen Blick nochmal die Aktionen erklärt zu bekommen.
Neue Spieler:innen sollten auch die Chance bekommen, auf der richtigen Seite des Spielplans zu sitzen. Nicht jeder kann sich auf der Karte kopfüber gut orientieren. Das sollten dann die übernehmen, die das Spiel bereits gut kennen.
Messe oder Jahrmarkt?
Irritierend ist es anfangs, dass im Spiel immer von „Messe“ gesprochen wird, die bei Rundenende stattfindet. Dass diese keinen religiösen Hintergrund hat, ist schnell klar. Dann drängt sich einem „Handelsmesse“ auf, aber ich denke, man hätte hier besser von „Jahrmarkt“ sprechen sollen – dann wird auch der Bezug zum Cover klarer. Der hat sich mir nämlich zunächst nicht erschlossen. Von dem bunten und ausgelassenen Treiben dort ist im Spiel nämlich recht wenig zu finden.
Die Gestaltung des Spiels gefällt mir auf jeden Fall gut – sicher dominiert hier das für Eurogames bekannten beige-braun, aber die farblich intensiven Spielfiguren bringen Leben auf den Tisch. Ebenso die Gäste und Wappen, die wir in unsere Tableaus puzzeln. Lediglich die Farbe dreier Ressourcen ist sehr nah beieinander, so dass man da immer wieder schauen muss: Ist das jetzt Wolle oder doch Stein oder Eisen?
T-Spiel für Einsteiger?
Es gäbe noch sehr viel zu sagen über Tiletum, aber bevor ich mich noch in weiteren Ausführungen und Schwärmereien verliere, empfehle ich, es doch lieber selber auszuprobieren. Wenn Ihr die Möglichkeit habt, es zu testen, dann ergreift sie und schaut, ob es etwas für Euch ist.
Wer sich mit den anderen T-Spielen der losen Reihe bisher anfreunden konnte, wird mit Tiletum keine Schwierigkeiten haben. Es ist m.E. zugänglicher als die anderen. Wer mal ein T-Spiel ausprobieren möchte, kann sich diesen mit Tiletum mal nähern und von da aus weitergehen.
Zusammenfassung
Mit Tiletum ist ein neuer, aber zugänglicherer Vertreter der T-Reihe erschienen. Es ist ein sehr anspruchsvolles Kennerspiel, mit extrem verzahnten Optionen und es lässt Raum für umfangreiche Planungen und strategische Überlegungen. Nahezu jede Aktion löst dabei Boni aus, die im optimalen Fall lange Kettenzüge ermöglichen und ein sehr belohnendes und damit positives Spielgefühl erzeugen.
Tieltum zeichnet sich durch einen Aktionsradmechanismus mit neuem Kniff sowie durch eine nahezu unendliche Variabilität aus, die jede Partie anders macht. Das Spiel bringt dazu extrem viel Material auf den Tisch, der bei Auf- und Abbau zeitlich berücksichtig werden muss. Tiletum skaliert sehr gut mit unterschiedlicher Spielerzahl und passt auch prima zu Zweit. Es ist für fortgeschrittene Spieler:innen absolut zu empfehlen!
- Positives und belohnendes Spielgefühl durch Boni und Kettenzüge
- Reizt zu umfangreichen Planungen und Überlegungen und bringt die grauen Zelle so richtig in Schwung
- Zugänglicher und im Spielablauf etwas runder als andere T-Spiele
- Man kann sich gedanklich in seinen Planungen ganz gut verlaufen und den roten Faden verlieren
- In großer Runde Downtime-gefährdet
- Kleine Schwächen bei der Unterscheidbarkeit von Spielmaterial
Aus meiner Spielerperspektive: Tiletum ist ein Spiel ganz nach meinem Geschmack, denn es hat für mich die „richtige Gewichtsklasse“. Es ist fordernd und verlangt von mir eine ganze Menge Planung, aber es erzeugt bei mir nicht das Gefühl, dem Spiel nicht gerecht zu werden, wie es das ein oder andere Expertenspiel tut. Ich liebe Spiele, die mir durch Boni immer wieder neue Möglichkeiten eröffnen und nach dem Prinzip „und wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Bonus her“ Wege eröffnen. Einfach herrlich!