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REVIEW | Rezension Brettspiel Marrakesh

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Brettspielbox Brettspiele

Das Brettspiel Marrakesh ist als vierter Teil der bei Queen Games erscheinenden Stefan Feld City Collection das eins von zwei der acht bekannten Spiele, das nicht auf einer Neukonzeption eines „alten“ Spiels des Autors beruht. Auf dieser Neuentwicklung lag daher besonderes Augenmerk, zumal das Spiel in einem enormen Format daherkommt, einiges an Spielmaterial mitbringt und daher auch nicht wirklich günstig ist. Was hat der „neue Feld“ also zu bieten?

Carina Brachter


SPIELBESCHREIBUNG

Marrakesch wird über drei Runden gespielt, in der uns jeweils vier Spielzüge zur Verfügung stehen.

Das Spiel wird mit Hilfe sog. Keshies gespielt, die das gesamte Spiel steuern. Keshies sind kleine Oktagone, die es in zwölf unterschiedlichen Farben gibt. Zu Beginn jeder Runde erhalten wir von jeder Farbe ein Keshi.

In jedem Spielzug wählen die Spieler:innen gleichzeitig und verdeckt drei dieser Keshis hinter ihrem Sichtschirm aus. Haben alle gewählt, setzen die Spieler:innen ihre Spielfiguren, die Assistenten, auf den farblich passenden Feldern auf ihrem Spielertableau  ein und werfen anschließend alle Keshis in den Würfelturm. Nicht alle Keshis kommen zwingend auch im „Auslauf“ des Turms an. 

Unten angekommen werden die Keshies dann farblich sortiert und die Spieler wählen nun reihum eine Farbe aus und nehmen sich 1-2 Keshies davon. Sie setzen sie auf ihrem Spielertableau auf den farblich passenden Aktionsbereichen ein, so dass die dort durchgeführten Aktionen künftig verbessert oder verstärkt werden.

Sind alle Keshies unter den Mitspielenden verteilt, folgt die Aktionsphase, in der nun die drei durch die Assistenten aktivierten Aktionen durchgeführt werden. Hierbei bestehen zahlreiche Möglichkeiten, die auf dem eigenen Spieltableau umgesetzt werden:

  • Die Dattelplantage dient der Ernte von Datteln, die wir zur Bezahlung oder Versorgung der Dorfbewohner:innen benötigen.
  • Im Souk kaufen wir entweder Luxuswaren oder nutzen die Wechselstube. Auf diese Weise erhalten wir Ressourcen und/oder Punkte.
  • Im Flussbereich steuern wir, dass unser Schiff den Fluss weiter entlangfahren kann, um Boni zu erhalten.
  • In der Madrasa können wir Schriftrollen erwerben, die uns Sofortboni oder dauerhafte Fähigkeiten einbringen.
  • In der Sahara erkunden wir Oasen, die uns bei Spielende, sofern sie aktiviert wurden, Extrapunkte einbringen können.
  • In Moschee und Palast ersteigen wir die langen Treppen – je nach Position unserer Figuren haben wir ein Anrecht auf wichtige Boni. Je höher wir die Treppen erklimmen, desto wertvoller wird hier der Ertrag.
  • Auf dem Großen Platz erfreuen wir die Zuschauer mit unseren Gaukler-Keshis, um Belohnungen zu erhalten. 
  • In der Medina schließlich bauen wir Stadttore, um zusätzliche Keshis zu erhalten und Punkte zu erzielen.

Die Aktionsmöglichkeiten sind sehr miteinander verwoben, bringen direkt Punkte oder Boni, Wertungsmöglichkeiten für die Schlusswertung oder kurzfristig Rohstoffe für den Handel oder die Versorgung der Bewohner:innen, die nach jeder Runde ansteht und immer aufwändiger wird. Viele Aktionsbereiche werden im Laufe des Spiels stärker ausgebaut und bringen immer mehr Erträge oder bessere Boni ein. Wer es bis Spielende schafft, einzelne Aktionsbereiche komplett zu füllen, erhält auch dafür noch Extra-Punkte. Ebenso für Wertungsplättchen, die man im Laufe des Spiels freigeschaltet hat sowie für übrige Rohstoffe. Es gewinnt, wer insgesamt die meisten Punkte erzielen konnte.



AUTOR: Stefan Feld ■ ILLUSTRATIONEN: Franz Vohwinkel & Patricia Limberger
VERLAG: Queen Games  ■ ERSCHEINUNGSJAHR: 2022

2-4 Spieler

ab 14 Jahren

ca. 90-120 Minuten

Spielregeln (ext. Link zu Queen Games)


SPIELGEFÜHL

Marrakesh hat mich seit der ersten Partie in seinen Bann gezogen – allerdings war das auch kein Wunder, da ich Eurogames und im speziellen die von Stefan Feld sehr mag. Das möchte ich gerne unumwunden zugeben, bevor ich hier tiefer einsteige. Allerdings bejubele ich auch nicht alles und gerne möchte ich erklären, was ich an Marrakesh so toll finde und vielleicht stecke ich den Einen oder die Andere damit ja auch an. 

Marrakesh siedle ich im gehobenen Kenner- bis unteren Expertenbereich an, denn es erfordert von uns eine ganze Menge an Planung und Vorausdenken. Die erste Partie ist daher auch ganz klar eine Lernpartie, die man sich zugestehen sollte und neue Spieler:innen werden meist gegen alte Hasen das Nachsehen haben. 

Wer zuerst wählt, wählt am besten
Grundsätzlich haben aber alle die gleichen Voraussetzungen und zu Beginn jeder Runde die gleichen Aktionsmöglichkeiten, indem wir alle die gleichen Keshis vor uns liegen haben. Dann geht es los und wir müssen uns die ersten drei auswählen.

Hier ist schonmal ganz entscheidend, mit wie vielen Spieler:innen ich spiele, und wann ich daher das erste Mal drankomme, Keshis aus dem Auslauf des Würfelturms auszuwählen. Das bestimmt meist die Auswahl meiner Keshis und damit meiner Aktionen entscheidend, denn die für meine Strategie vermeintlich „besten“ haue ich erst dran raus, wenn ich als erstes an die Reihe komme und zumindest bei einer Keshia-Farbe recht sicher davon ausgehen kann, sie zu bekommen.

Darf ich als erstes wählen, kann ich einen oder zwei Keshis zugehörig zu meinen Aktionen auswählen und diese damit effizient verstärken, bevor ich sie später in meiner Aktionsphase dann durchführe. Gelingt mir das nicht, die Aktion mit Keshis zu verstärken, fühlt sich das immer ein bisschen wie eine verlorene Aktion an. Dann kann ich immerhin als Aktion einen Keshi aus dem Vorrat nehmen, um die Aktion fürs nächste Mal zu verstärken. Oft fühlt sich diese Alternative nur wie ein Trostpflaster an. Optimal ist es natürlich, wenn beides klappt, aber das gelingt nur selten und im Spiel zu Zweit deutlich häufiger als mit mehreren Spieler:innen, die mir Keshis vor der Nase wegschnappen können.

Das verflixte Quäntchen Glück

Sichergehen, dass ich bekomme, was ich will, kann ich nie, denn da ist ja auch noch der Würfelturm. Dieser ist ein – bei einigen sehr umstrittenes – Glückselement, der bewirkt, dass man sich bei Marrakesh nicht alles ausrechnen kann. Es kommt sogar sehr häufig vor, dass einer der begehrten Keshis in den Verstrebungen des Turms eine Spielpause einlegt und erst in einer der darauffolgenden Spielzüge wieder erscheint. Damit kommt Unkalkulierbarkeit ins Spiel, die nicht jedem gefällt, die aber oftmals Würze ins Spiel bringt und auch zum Umdenken und Umplanen zwingt.

Manche Spieler:innen treibt das in ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Würfelturm, da er doch immer genau das „frisst“, was man unbedingt haben wollte…

Und da sind ja auch noch die anderen…

Ja, man sollte flexibel bleiben in seiner Strategie, denn nicht nur der Turm kann so manches Keshi schlucken, mit dem man fest gerechnet hat, sondern auch die Mitspielenden. Man kann sich zwar ein wenig ausrechnen, worauf diese es abgesehen haben, weil sie eine vermeintliche Strategie verfolgen, aber dann schnappen sie doch nach dem wichtigen Keshi und schon ist der sorgsam durchdachte Spielzug passé. 

Aber da hat Marrakesh eigentlich immer einen Plan B zu bieten – man muss ihn nur sehen. Es gibt so viele unterschiedliche Wege, die zum Erfolg führen: Jeder kann seinen eigenen Weg gehen. Die individuellen Ziele und Strategien entstehen während des Spiels, man muss offen mit den Möglichkeiten umgehen, die einem geboten werden, flexibel im Kopf bleiben, ein wenig neu jonglieren und es tun sich neue Wege auf.

Besonders reizvoll am Spiel sind für mich drei Aspekte:

  • Zuallererst ist es der bereits beschriebene Schritt, dass ich die Aktionen mit den Assistenten auswählen muss, bevor ich weiß, in welcher Stärke ich sie durchführen kann. Das birgt natürlich ein Risiko, das man aber ggf. durch Vorausplanung an manchen Stellen ein bisschen abmildern kann. Aber meist muss man das Risiko halt eingehen und sportlich mit dem Ergebnis umgehen. In den meisten Fällen klappt es ja auch.
  • Außerdem ist es die Art von Engine Building, dass ich im Laufe der Partie meine Aktionsbereiche durch zusätzliche Keshis immer weiter aufwerte und so stärke. Ich kann mich breit aufstellen oder spezialisieren. Spezialisierung hilft dabei, Aktionsbereiche komplett mit Keshis zu füllen, wofür ich noch wichtige 10 Punkte pro gefülltem Bereich bei Spielende bekomme. Manche Endwertungsplättchen hingegen geben aber Punkte, wenn ich maximal drei Keshis in einem Gebiet habe. Daher agiere ich bei einigen mit angezogener Handbremse, wenn ich dieses Plättchen während des Spiels erhalte…
  • Schließlich ist es die kluge Verzahnung der Aktionen untereinander. Ich bin nach wie vor beeindruckt davon, wie hier Elemente ineinander greifen, wie Verbesserungen durch Schriftrollen Aktionen verstärken können, wie Boni auf der Tempel- und Moschee-Treppe Vorhaben beschleunigen können, wie die Wachtürme unterstützen, dass ich zusätzliche Keshis erhalte etc. Ich ziehe den Hut vor der Entwicklungsarbeit bei diesem Spiel. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen und alles sorgsam durchdacht. 

In jeder Spieler:innenzahl ein wenig anders

Außerdem bemerkenswert ist, dass das Spiel in allen Spieler:innenzahlen gut funktioniert. Es sind erstaunlicherweise keine Anpassungen am Spielmaterial notwendig. Allerdings spielt sich das Spiel unterschiedlich, denn so ist es beispielsweise zu Zweit schwieriger, ganze Aktionsgebiete zu füllen, als mit mehreren Spieler:innen, wo es häufiger zwei gleichfarbige Keshis in der Auswahl gibt. Aber auch das macht wieder einen besonderen Reoiz aus, denn es ist eine schöne Herausforderung, es dennoch und ggf. mehrmals schaffen zu wollen.

Gibt es Nachteile bei Marrakesh? Klar gibt es die:

  • Man braucht Platz, denn das Spiel ist überaus tischfüllend und daher anfänglich in seiner Fülle ggf. etwas unübersichtlich.
  • Auf- und Abbau dauern so ihre Zeit, bis man alles wieder so sortiert hat, dass es passt. Wir haben zudem Sortierelemente mit hinzu gepackt, die die Verwaltung des Spielmaterials vereinfachen, aber es braucht dennoch seine Zeit.
  • Die Bildsprache muss ein bisschen gelernt werden und ist nicht immer zwingend selbsterklärend – bei Fragen hilft aber das Glossar immer weiter.
  • Manche Spielelemente auf „gleichem Rang“ wie etwa Oasenplättchen für die Schlusswertung oder Schriftrollen „gleichen Preises“ sind nicht unbedingt immer gleichwertig. Auch bei den Warenplättchen auf dem Markt spielt dann schonmal das Glück eine Rolle, welche man aufdeckt. 

Immer dieses Ernährungsproblem…

Was als ziemlich hart empfunden wird, ist die Versorgung der Bevölkerung bei Rundenende – hier wird nach der ersten Runde das Erfüllen eines Plättchens durch die Abgabe von drei Ressourcen verlangt, nach der zweiten Runde sechs und nach der dritten Runde muss man schließlich neun Ressourcen abgeben – sonst verliert man nicht nur ordentlich Punkte, sondern auch alle Ressourcen, die man sonst noch so hat. Puh, das ist heftig… Hat man hier einmal alles verloren, dann achtet man künftig peinlich genau darauf und in jeder dann folgenden Partie auch. 

Diese harte Strafe ist laut Autor aber notwendig, da man sonst kalkuliertes Risiko gehen und den Punktverlust miteinbeziehen könnte – ohne sich um die Beschaffung der Ressourcen zu kümmern. Okay, unter dem Aspekt sehe ich das ein, aber hart ist es schon und sollte – dies als nett gemeinter Rat – möglichst vermieden werden.

Wiederspielreiz und Varianz

In der enorm großen Spielschachtel sind noch fünf Erweiterungen enthalten, die es bei mir bislang noch nicht auf den Tisch geschafft haben. Da mich das Spiel in seiner Grundfassung immer noch fesselt und ich da noch längst nicht alle Wege ergründet habe, reicht mir die Grundversion noch länger aus. Auf die mögliche Varianz sei aber hier noch hingewiesen.


Zusammenfassung

Marrakesh ist ein wundervoll verzahntes Spiel, das bestens für erfahrene Kennerspieler:innen geeignet ist, die keine Angst vor anspruchsvollen Planungsaufgaben haben und die gerne flexibel auf das reagieren, was einem das Spielgeschehen als Möglichkeiten bietet. Das Spiel eignet sich dabei für alle Spieler:innenzahlen und es bedarf dabei keiner Anpassung des Spielmaterials.

Marrakesh bietet auch nach einigen Partien immer wieder Abwechslung und durch die Varianz des Spielmaterials sowie kleinerer Glückselemente immer wieder neue Optionen und Herausforderungen, die es zu meistern gilt. 

Gerade Liebhaber von Eurogames machen mit Marrakesh nichts falsch und werden lange Freude daran haben. Aus der Brille einer solchen Eurogamerin bekommt es daher auch eine Bestnote:

  • Tolle Verzahnung der Spielemente mit vielen unterschiedlichen strategischen Möglichkeiten
  • Relativ einfache und zugängliche Grundmechanik, gut verständliches Regelwerk
  • Bietet zahlreiche taktische Optionen und Wege zum Sieg, zudem sind noch Erweiterungen enthalten
  • Materialintensives, raumgreifendes Spiel mit einzurechnender Auf- und Abbauzeit
  • Symbolsprache nicht immer selbsterklärend 
  • Manchen könnten die Glückselemente – wie beispielsweise der Würfelturm – im Spiel stören

Aus meiner Spielerperspektive: Marrakesh hat mich von der Erstpartie her im Griff und lässt mich nicht mehr los – es überzeugt in vielen Runden und bietet jedem „seinen“ Lieblingsweg durch die Partie – ob man nun lieber Waren einkauft und darüber Punkte generiert, lieber viele Boni abgreift, die an vielen unterschiedlichen Stellen weiterhelfen oder man gezielt die Treppen zu Palast und Moschee erklimmt: Viele Wege sind erfolgreich und daher punkt- und erfolgsversprechend. Bei mir ist der Reiz dieses Spiels noch lange nicht verflogen und ich werde es noch oft auf den Tisch bringen!

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